pssst… wie geht´s, Herr Kohlenberg?

 

Wie geht es Kreativen und Storytellern nach dem Lockdown? Ich hab da mal nachgefragt. Heute bei René Kohlenberg, Journalist und Kreativer, der in Sylt das Thema Storytelling für sich entdeckte.

Staunen – das kann man von René Kohlenberg lernen. Der ehemalige Journalist und Agenturmann ist kurz vor der Pandemie von der Stadt auf´s Land gezogen und hat dabei die wunderbare Fähigkeit des Staunens mitgenommen – oder sogar wiederentdeckt. Während wir intensiv ins Gespräch vertieft sind, unterbricht er plötzlich mit einem herzlichen: „Wahnsinn!“ Und weiter: „Da ist jetzt gerade ein riesengroßer Silberreiher direkt an meinem Fenster vorbeigeflogen. Riesengroß! Fantastisch!“

Diese staunende Begeisterung gilt nicht nur der Natur, die ihn an seinem neuen Wohnort umgibt, sondern auch seiner neuen Arbeit als Storyteller, der neuen Berufssituation als Selbständiger und vor allem seinen neuen Kunden. Die Pandemie hat ganz schön viel beim ihm umgekrempelt. Viele kennen ihn via LinkedIn - als kreativen Kopf hinter aufmerksamkeitsstarkem Content und guten Geschichten – die seine Leser:innen immer wieder in Staunen versetzen. Wo er die Ideen dafür nimmt, wollt ich von ihm wissen. Daher: Herzlich Willkommen René.


...Sorry, gleich zum Einstieg muss es um Corona gehen: Kreative waren in der Pandemiezeit ziemlich eingeschränkt. Ein Tag glich dem anderen. Kein Schwätzchen mit dem Barista im Café ums Eck, kein Reisen, kein Bier am Abend mit Freunden. Kein spontaner Einfall auf dem Weg zur Arbeit. Inspiration und Stimulanz waren plötzlich weg. Wie hast du diese Zeit erlebt? Wo kommt deine kreative Kraft her – in den letzten Wochen und Monaten und auch heute?
 
Was sagt die Fleischfachverkäuferin, wenn sie den Wurstaufschnitt auf die Waage legt? Genau: „Darf´s ein bißchen mehr sein?“ Das ist mein Motto für die letzten zwei Jahre. Nach einer gefühlten Ewigkeit als Journalist und Content Creator in einer Agentur war ich überzeugt, nun Geschichten auf eigene Rechnung zu schreiben“. Ich wagte den Wechsel vom sicheren Angestelltenverhältnis ins Abenteuer Selbständigkeit. Und am Anfang lief es sehr gut. Doch keine vier Monate später kam Corona. Aber damit nicht genug. Weil meine Freundin und unsere zweijährige Tochter mehr Platz wollten, beschloss unsere kleine Familie aufs Land zu ziehen. Aus dem Lotterbov und Großstadtkreativen aus Köln wurde jetzt ein Familienvater und Landei. Und nachdem ich ein Leben lang, Schreibtisch an Schreibtisch im Großraumbüro gearbeitet hatte, fand ich mich nun alleine - mit mir - im Homeoffice.

Also: Corona war nicht schuld daran, dass mein Barista ums Eck mich nicht mehr zu Gesicht bekam. Oder dass ich mich nicht mehr mal auf ein Bierchen mit Freunden treffe. Stattdessen sitze ich hier im Grünen. Lass mir von meiner Tochter die Welt erklären. Und entdecke die Stille. (Buchempfehlung an dieser Stelle … „Darf´s ein bißchen mehr sein - Else Stratmann wiegt ab“ – ein herrliches Buch von Elke Heidenreich. Anmerkung von Petra)

Die einen haben während Corona also die „Langsamkeit“ entdeckt – du die „Stille“. Aber mal ehrlich, wie ist das da draußen, im Grünen, alleine - als Kreativer?

Erst einmal: ja, es ist wirklich still hier. Diese Erfahrung hat mich total überwältigt. Lange Jahre habe ich mitten in Köln, gelebt. Mir war gar nicht bewußt, wie still ein Ort sein kann. Diese Stille hat natürlich auch etwas mit Einsamkeit zu tun. Man hört niemanden und man sieht niemanden. Besonders abends. Die brodelnde Lebendigkeit einer Großstadt, die man während Corona so vermisst hatte und die jetzt langsam zurückkommt, so etwas gibt es am Land nicht. Hier ist man happy im eigenen Garten, man sieht gelegentlich die Nachbarn, ist aber auch sehr fokussiert auf sich selbst und die kleinen Dinge, die einen umgeben. Der Umzug von der Stadt aufs Land bracht mir einen ungeahnten Perspektivwechsel, für den ich sehr dankbar bin. (An dieser Stelle gleich noch ein Buchtipp: „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Stan Nadolny – für alle, denen die Welt zu hektisch wird)

Perspektivwechsel – schönes Stichwort – das ist ja eine beliebte Kreativtechnik – meinst du so etwas?

Ja, aber auch ganz pragmatisch: In der Großstadt war ich zum Beispiel strikter Gegner von Autos. Wenn man auf dem Land lebt, ändert sich der Blick auf dieses Thema schnell. Es ist ein ganz anderes Deutschland, das ich hier entdecke. Sehr spannend. Ich merke plötzlich, wie eingeschränkt meine Sichtweise bisher war. Oder besser ausgedrückt: wie stark meine Lebensumstände und meine Umgebung, mein Denken eingeschränkt haben. 
Es heißt „Geschichten entstehen immer dann, wenn etwas Unerwartetes passiert.“ Ich kann das nur bestätigen und jeden ermutigen, sich selbst in unerwartetes Terrain zu begeben, um danach die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Die Stille am Dorf scheint deine Kreativität nicht limitiert zu haben. Corona anscheinend auch nicht. Wo kommt also der Stoff für deine Ideen her?

Ich war gewohnt, inmitten eines hektischen Büros Ideen mit Kollegen und Kolleginnen über Schreibtische hinweg hin- und herzuwerfen. Plötzlich war das alles weg. Aber brauche ich das eigentlich? Klare Antwort: nein, denn es liegen so viele Geschichten in meinem Postfach.
Meine Kunden liefern mir täglich Stories. Das klingt einfach, aber ich brauchte eine Weile, um diesen Storytelling-Schatz tatsächlich zu entdecken. Raus aus der Hektik, raus aus dem Trubel, ohne Ablenkung und „Distraction“, wie man so schön im Social-Media-Jargon sagt, blicke ich heute mit Neugierde und Staunen in die Erzählungen meiner Kunden und entdecke wunderbare Perlen.

Mein Job ist es, diese zu bergen und schön rund zu machen. Vor allem aber, sie zu verteidigen. Vielen meiner Kunden fällt es schwer, sich für die richtigen Stories zu begeistern. Manche sind auch einfach zu bescheiden oder zu unerfahren in Punkto Storytelling. Als ehemaliger Journalist fällt es mir vielleicht leichter, gutes Material zu entdecken. Vielen Unternehmer:innen fällt es schwer, das eigene Storytelling-Potenzial anzuerkennen und geschickt für ihre Unternehmenszwecke einzusetzen. Da kann ich nur sagen: Mut zur eigenen Geschichte. In Unternehmen steckt so viel Spannendes, das erzählt werden sollte.

Du durchleuchtest also Unternehmen und Unternehmer:innen auf der Suche nach spannendem Story-Material. Hast du konkrete Tipps, wie du vorgehst?

Storytelling klingt immer so nach spontanem Kreativprozess. Kann sein, dass manche intuitiv auf Ideen kommen. Ich brauche definitiv Struktur und Systematik. Daher bin ich ein großer Fan von Trello. Die bewerben ihre Plattform zwar als Team-Tool. Tatsächlich bieten sie aber auch mir – als One-Man-Show – das perfekte Tool, um mich zu sortieren. Ich bin eigentlich ein Chaot und brauche dringend Hilfe. Früher haben das Kolleginnen und Kollegen gemacht. Die haben mich an Termine erinnert und an Ideen, die ich irgendwann mal hatte. Heute erledigt das Trello für mich. Für jeden Kunden, für jeden Termin, für jede Idee und jede Story gibt es eine Kachel oder Spalte … ohne diese Übersicht wäre ich verloren.

Und dann ist da noch mein Büchlein. Wann immer ich eine Idee für eine Geschichte haben, schreibe ich die auf. Das kann manchmal nur ein Wort sein - das reicht schon, um mich zu erinnern. Das Buch ist heute dem Smartphone gewichen. Die meisten Geschichten, die ich erzähle, sind digital. Und so ist auch der Startpunkt für meine Stories mittlerweile digital.

Damit sind wir schon bei unserem gemeinsamen Lieblingsthema: Storytelling. Was genau bedeutet der Begriff für dich? Wie definierst du ihn?

Wenn wir uns im Business-Kontext bewegen, sollte man vor allem zwei Dinge auseinanderhalten: Brandstories und Produktstories. Wer Storytelling für Unternehmen und Marken macht, sollte sich im Klaren darüber sein, was im Zentrum der Story steht: die Marke oder das Produkt. Je nach Fokus macht das einen großen Unterschied.

Für beide aber gilt, dass Storytelling eine ganz besondere Art der Kommunikation ist. Es ist: kundenzentrierte, emotionale Kommunikation auf Augenhöhe.

„Kundenzentriert“; „emotional“ und „auf Augenhöhe“ - drei Aspekte, die ich genauer erläutern will: Wer sich Werbung aus den 60ern anschaut, der wird schnell bemerken, dass in diesen Geschichten vor allem einer der Held ist: das Unternehmen. Heute hat sich das komplett gewandelt. Marken und Unternehmen, die sich in den Mittelpunkt stellen, werden als arrogant und nicht zeitgemäß wahrgenommen. Modernes Storytelling rückt den Kunden in den Mittelpunkt – macht ihn zum Helden/Heldin.

„Emotional“ ist ein weiterer Stolperstein, wenn es um Storytelling geht. Selbstverständlich will man sich „emotional“ präsentieren. Und mittlerweile hat sich rumgesprochen, dass Daten und Fakten oft zu nüchtern sind, um Kunden zu überzeugen. Aber was genau ist „emotionale Kommunikation“? Um welche Emotionen geht es? Reicht es, ein Happy End zu präsentieren und alle sind glücklich und froh, dass es eine Produktlösung gibt? Leider ist es ein weitverbreitetes Missverständnis, dass es bei Storytelling um die erzählte Präsentation von Produkten geht. Und dass ein Publikum erfreut in Verzückung gerät, wenn am Ende die Lösung erklärt wird.

In guten Geschichten geht es weniger um die Emotion am Ende. Vielmehr um Gefühle, die am Anfang und im Mittelteil geweckt werden. Hier wird die Aufmerksamkeit der Zielgruppe geweckt, hier wird Spannung erzeugt und genau deswegen bleibt das Publikum dran. Es geht weniger um die Lösung, vielmehr um die Schwierigkeiten davor - um die Ausgangssituation. Vielen erscheint jedoch die Darstellung dieser Herausforderungen, Sehnsüchte, Wünsche oder Probleme, mit denen man sich im Unternehmen seit Jahren auseinandersetzt, als zu bekannt und zu „banal“. Stattdessen sollte doch die Produktneuheit die „News“ sein und im Mittelpunkt stehen. Warum also ein Publikum mit der Ausgangssituation langweilen? Genau das ist das Missverständnis. Erst wenn ein Publikum sich in die Ausgangslage versetzt, kann es die Lösung anerkennen. Daher „verschwendet“ eine gute Story so viel Zeit auf den Mittelteil – der ganz und gar nicht „banal“ ist, sondern hoch „emotional“.

Steckt also „Storytelling-Potenzial“ im vermeidlich „Banalen“?

Schauen wir uns doch einmal gutes Storytelling im Detail an – da geht es sehr oft um die „kleine Dinge“. Um „das Zusammensein in der Familie“, um persönliche Entwicklung, um Veränderung, oder noch einfacher … um das Atmen. Wir haben verlernt, über diese kleinen Dinge zu staunen – und darüber zu erzählen. In emotionalen Alltagsmomenten schlummern die besten Stories. Viele Kunden sagen mir „Ich habe gar keine Geschichte“. Gerne frage ich dann „Was hat dich in der vergangenen Woche so richtig aufgeregt?“ oder „Was ist hat dich in letzter Zeit richtig gefreut?“ Mit solch offenen und auch emotionalen Fragen lassen sich Geschichten triggern. Diese Fragen liefern wunderbare Startpunkte für das eigene Storytelling.

Wichtig aber ist vor allem, dass man sich von den „Features“ löst. Und damit komme ich dann doch noch zu dem dritten Aspekt meiner Storytelling-Definition: „auf Augenhöhe“ kommunizieren. Storytelling bedeutet, nicht von oben herab zu erzählen, wie toll wir – und unsere Produkte - sind, sondern sich „auf Augenhöhe“ auf die Bedürfnisse und Themen des Kunden einzulassen. Im Marketing-Sprech heißt das: es geht nicht darum, lediglich die „Features“ eines Produktes zu präsentieren, sondern weit mehr darum, die „Benefits“ zu erzählen. Es geht nicht um eine Aufzählung toller Produktdetails. Sondern um eine Geschichte, die die Vorteile des Produktes für und mit dem Kunden in den Mittelpunkt rückt.

Das ist ein Perspektivwechsel, der zentral ist für gutes Storytelling. Das erfordert, aus den eigenen Schuhen auszusteigen und in die Schuhe des Kunden zu schlüpfen. Erst aus dieser Perspektive werden Geschichten real, authentisch und vor allem relevant – ganz besonders in Social Media.

Digitales Storytelling ist eine deiner Stärken … und doch bist du vor einigen Wochen komplett raus aus dem Netz – was war los?


Es hatte mich kalt erwischt. In den letzten zwei Jahren ging es immer positiv nach vorne. Trotz krassem Jobwechsel, trotz Umzug, trotz Corona … alles lief bestens. Mein Social-Media-Content wurde geliebt, ich bekam Likes und Shares. Genauso, wie man sich das wünscht. Doch plötzlich gab es einen nassen Waschlappen mitten ins Gesicht. Ich hatte eine Idee ins Netz gepostet… wollte statt Einzelcoachings ein gemeinsames Gruppencoaching anbieten. Und natürlich nutzte ich Storytelling, um mein Angebot bekannt zu machen. Das Feedback war super, aber leider buchten zu wenige Leuten den Kurs. Ich war enttäuscht. Und ernüchtert. Also erst mal raus aus dem Netz, rein ins Schneckenhaus. Wunden lecken.

Jetzt – mit Abstand betrachtet – eine gute Erfahrung. Plötzlich besann ich mich wieder auf mein eigenes Motto: Kundenzentrierung. Nicht vom Netz ablenken lassen, sondern die Geschichten entdecken, die so nahe liegen – bei den eigenen Kunden. Content Management ist ziemlich anstrengend. Gar nicht so sehr in der Suche nach Stories, sondern viel mehr, dass man sich von dem ganzen Drumherum zu schnell ablenken lässt. Ich kann nur empfehlen: drei Wochen mal ohne LinkedIn. Rückbesinnung auf die wirklich wichtigen Inhalte und check, ob man denn vermisst wurde. (Laut der aktuellen „Meaningful Brands Studie“ von Havas könnten 75 Prozent aller Marken über Nacht verschwinden und den meisten Menschen wäre das vollkommen egal, weil sie problemlos Ersatz dafür finden könnten.).


Ein Glück, dass René Kohlenberg nach drei Wochen wieder zurückgefunden hat, ins Netz. Denn er und seine Mini-Stories zu Storytelling und authentischer Kommunikation haben ganz schön viele vermisst. Wer jetzt noch wissen will, was Kommunikation mit Gletscherwasser zu tun hat, der guckt auf René´s Webseite und wer wissen will, warum er auf Sylt das Thema Storytelling entdeckt hat, der fragt ihn am besten selbst – und lässt sich eine von vielen guten Stories erzählen, die staunen lassen.


Wer noch mehr Kreative kennenlernen will – zum Beispiel die Bloggerin und Graphik Artistin Ulrike Heppel, die mit 50 sagt "Fuck the Falten" oder den Storymaker Marc Oliver Voland, der Punkte verknüpft ... wenn sie also neugierig sind auf Tricks und Tipps, wie man kreativ bleibt, auch in schwierigen Zeiten, dann finden Sie weitere Interviews auf meinem Blog „Amazing Stories“.

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