pssst... wie geht´s, Frau Heppel?

 

Wie geht es Kreativen und Storytellerinnen im Lockdown? Ich hab da mal nachgefragt. Heute bei Uli Heppel, Art Directorin und Inhaberin der Kreativagentur Twogether für Design und Kommunikation – vielen auch bekannt als erfolgreiche Bloggerin und Instagrammerin.

Wer sich die Zeit nimmt (und gerade jetzt sollte man sich diese Zeit nehmen…), darüber nachzudenken, welche Menschen einem im Leben begleitet haben und von wem man richtig viel gelernt hat, dem fallen vielleicht nur eine Handvoll Namen ein. Man begegnet vielen Menschen. Viele haben auch einen Einfluss auf das eigene Wirken. Aber die wenigsten bleiben stete Begleiter oder werden gar zu Freunden, auf die man sich verlassen kann. Uli Heppel ist für mich so eine Wegbegleiterin – und Freundin.

Uli war die zweite Grafikerin und Kreative, mit der ich – ganz am Anfang meiner Karriere - zusammenarbeiten durfte. Sie war die zweite – denn mein erster Kontakt mit einem waschechten Grafiker wurde zur vollen Katastrophe. ... Denn er verstand sich als Künstler. Ich – als ehrgeizige Volontärin – sah ihn als Lieferanten. Er hatte seine eigenen Ideen. Ich wollte unbedingt die Ideen meines Kunden durchdrücken. Der Job wurde zur Sackgasse … ich … kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Dann kam Uli. Sie rettete den Job – und mich.

Und lehrte mich, wie man mit Kreativen umgehen sollte. Und mit Kunden. Es folgten viele gemeinsame Projekte. Tolle Kampagnen. Zufriedene Kunden. Kreativ-Awards. Nach so vielen Jahren scheint ihre kreative Ader immer noch unerschöpflich. Wie geht das? Und wie geht das gerade jetzt? Also mal nachgefragt:

Hallo Uli. Kreative sind derzeit ziemlich eingeschränkt. Ein Tag gleicht fast dem anderen. Kein Schwätzchen mit dem Barista im Café ums Eck, kein Reisen, kein Museum. Inspiration und Stimulanz sind weg, oder? Doch dein Kerngeschäft ist es, kreativ zu sein. Wie arbeitest du derzeit?

Ach herrje, diese Jammerei. Für mich ist wichtig, dass ich mich da rausziehe und die eigene Moral hochhalte. Jeden Morgen radle ins Atelier – ich habe das Glück, einen Arbeitsplatz ganz für mich allein zu haben - ich mache mir einen Tee und setze mich an den Schreibtisch. Das sind meine Glücksmomente am Morgen. Klingt vielleicht banal, aber über die Jahre habe ich gemerkt, dass diese Routinen für mich ganz wichtig sind. Nur wenn ich mich auf diese standardisierten Rituale verlassen kann, bleibt gedanklich Raum, um nach Neuem zu suchen. Kreatives Arbeiten heißt ja „alles auf den Prüfstand“ stellen und die „Dinge konstant zu hinterfragen“. Diesen Perspektivwechsel schaffe ich aber nur, wenn der Rest stabil ist.

Aber vermisst du nicht Stimulanzen und Inspiration wie Kunst, Kultur oder einfach nur ein Abend mit Freunden? Dort begegnet einem doch dieses Unerwartete, Spontane – das Entdecken von Formen und Farben, das gerade für Grafiker so wichtig sein muss.

Natürlich vermisse ich Theater, Konzerte oder Ausstellungen und vor allem Abende mit Freunden. Und ja, das inspiriert. Aber man sollte Kreativität nicht auf so Oberflächliches wie Farbe oder Form reduzieren, sie ist Vorraussetzung für Wandel und für jede Form von Innovation. Inspiration kommt oft aus ganz anderen Quellen. Kreativität ist vor allem Information und der Umgang damit. Ich nenne mal ein Beispiel: der Münchner Fotograf Florian Jaenike machte jede Woche ein Bild von seinem Sohn. Er will durch diese kreative Arbeit seinem Kind nahekommen. Jaenikes Sohn ist schwer behindert, die Kommunikation mit ihm ist nicht leicht. Über dreizehn Jahre sind Vater und Sohn nun zusammengewachsen und doch sucht Jaenicke immer noch eine Antwort auf die Frage, die er sich durch dieses Projekt stellt: „Wer bist du?“ Jaenickes Bilder wurden als Fotokolumne im ZEITMagazin veröffentlicht. Mittlerweile ist auch ein Buch daraus geworden („Wer bist du? Unser Leben mit Friedrich“, Aufbau Verlag).

Das ist eine Form von Kreativität, die mich sehr inspiriert. Oder das Musikprojekt „For Seasons“. Im November 2019 spielen die Musikerinnen und Musiker des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters das Stück „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi. Allerdings nicht in der Originalfassung, sondern verfremdet. Mit Hilfe eines Algorithmus wurden die Wetterdaten seit Entstehung der Originalpartitur 1725 ausgewertet und der Grad der Veränderungen des Klimas in den letzten dreihundert Jahren auf das Musikstück übertragen. So kann man den Klimawandel und seine Folgen hören! Das Thema „Klimawandel und Folgen“ ist uns eigentlich ja längst bekannt. Und doch braucht es immer wieder weitere, kreative Wege, um darauf aufmerksam zu machen.

Dies ist eine Form der Kreativität, die ich wesentlich inspirierender finde, als die Suche nach Formen und Farben. Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat und Spaß macht.

Statt ins Theater, gehst du also jetzt ins Internet und suchst nach spannenden Projekten? Ist „Digital Wandering & Wondering“ jetzt das neue „Window-Shopping“?

Ja, im Netz gibt es spannende Ecken. Aber Digital ist nicht alles. Das wissen wir doch - nachdem uns Zoom und Teams ein Jahr Lebenszeit geraubt haben. Der Bildschirm ersetzt keine echten Erfahrungen. Also raus aus dem Büro ist die Devise. Raus aus dem Home-Office. Runter von der Streaming-Couch. Raus an die frische Luft. Raus in die Natur. Oder auf einen alten Friedhof.

So makaber es klingt, aber in der Stadt, in der ich lebe, sind die Parks voll. Da werden die alten Friedhöfe zur interessanten Alternative. Es sind Rückzugsort im Freien. Und es verbergen sich dort Schätze der Inspiration. Uralte Geschichten. Hier gibt es auch die Ruhe und Konzentration, die man im Internet niemals finden wird. Keine Ablenkung. Man reflektiert tatsächlich. Und wenn es etwas Positives an Corona gibt, dann doch die Rückbesinnung darauf, was wirklich wichtig ist: „die kleinen Dinge im Leben“, Werte und Haltungen, Menschen, die einem etwas bedeuten.

Bevor es jetzt komplett philosophisch wird … aber doch die knallharte Frage nach deiner Arbeitsweise. Was sind deine besten Kreativ-Tricks?

Ich verstehe gar nicht, warum so viele Menschen glauben, Kreative hätten ein paar Tricks auf Lager. Aus meiner Sicht ist Kreativität vor allem: viel Arbeit. Es ist naiv zu glauben, dass eine Idee einfach mal über Nacht oder als Geistesblitz in der Dusche kommt. Schnell aufgeschrieben und skizziert – und schon kann man abkassieren. Schön, wenn es so einfach wäre.

Und ja, zugegeben, manchmal kommt ein Einfall über Nacht oder in der Dusche. Aber dem ging oft ein langer und intensiver Prozess voraus. Stunden über Stunden, in denen man unzählige Anfänge macht, ausprobiert, recherchiert, verwirft, wegwirft und dann wieder von vorne anfängt. Früher bin ich in dieser Phase oft in Panik verfallen. Hatte Angst, dass da nix mehr kommt. Heute – und das ist das Schöne an gelebten Erfahrungen – bin ich da viel gelassener. Ich habe den Kreativprozess schon so oft durchlebt, dass ich Ruhe bewahren kann. Meistens jedenfalls. Ich kann mich darauf verlassen, dass irgendwann die passende Idee kommt. Kreativität findet immer einen Weg. Aber finden muss man ihn eben ;).

Aber du fragst nach Tipps - hier sind zwei: Erstens man sollte versuchen, auf das Briefing, auf die Aufgabenstellung, Einfluss zu nehmen. Ein gutes Briefing muss inspirierend wirken. Viele Kunden fassen ihre Aufgabenstellung aber so eng, dass es fast keinen kreativen Spielraum gibt. Dann muss man auch mal Regeln durchbrechen – für manche Kunden ist das dann leider nicht tragbar. Besser ist es, wenn man bereits den Auftrag als Teil des Kreativprozesses sieht und mit dem Kunden gemeinsam gestaltet. Das ist für beide Seiten eine Win-win-Situation.

Mein zweiter Tipp hängt selbstverständlich mit meiner Position als Selbständige und meiner Kreativagentur zusammen. Denn ich arbeite fast jeden Tag auf einem anderen Thema, mit Kunden aus unterschiedlichsten Branchen. Allein diese Vielfalt hilft bei der Suche nach neuen Ideen. Kreativität entsteht, wenn Grenzen überschritten werden – wenn Ideen und Lösungen von einer Branche oder einer Disziplin in eine andere wechseln oder ungewöhnlich kombiniert werden. Wer also fix in einem Unternehmen arbeitet und immer auf dem gleichen Thema nach Neuem suchen muss, der kann sich diese „Cross-Kreativität“ als Technik vornehmen. Das heißt, bewusst sich in anderen Feldern umsehen, nach smarten Lösungen suchen und diese dann auf die eigene Aufgabenstellung übertragen.

„Sichtweisen übertragen“ ist ein wunderbares Stichwort für ein zweites Thema, das ich gerne hier ansprechen möchte: mein Steckenpferd - das Storytelling. Der Begriff wird oft und gerne verwendet – auch im Design. Stefan Sagmeister hat sich in seiner Wutrede „You are not a storyteller“ bereits 2014 furchtbar über diesen Begriff echauffiert. Wie siehst du dies und was ist deine Definition von „Storytelling“?

Der Hype um den Begriff ist groß – leider wird aber meist etwas Mechanisches bezeichnet, nämlich die Art und Weise, wie man geschickt Geschichten im Netz erzählt. Dies geht aber komplett an der Bedeutung von „Storytelling“ vorbei. „Wir erzählen über uns“ – in allen möglichen Ausdrucksformen, eben auch im Design.

Hinter jeder Ausdrucksform – ob grafisch oder gestalterisch – stecken Geschichten. Die Menschen, die einen Text, eine Grafik, einen Gegenstand gestaltet haben, haben sich etwas dabei gedacht und die jeweilige Form sagt etwas über eben diese Menschen aus. Wir erfahren zum Beispiel, was sie beeinflusst hat, wer ihre Vorbilder waren, auf welche Gestaltungsprinzipien er oder sie sich beruft. All das ist eine Art des „Storytellings“.

Gute Gestaltung und gutes Design steht immer im Kontext und Zusammenhang zu anderen Werken und allem, was sich drum herum befindet - und allein die Aussagen über diese Bezugspunkte ist schon eine Geschichte. Dies ist auch der Grund, warum das Corporate Design einer Organisation oder eines Unternehmens „Identität“ stiften kann. Ein gutes CD unterstreicht und betont Zusammenhänge und den Kontext, in dem sich ein Unternehmen oder eine Marke befindet. Diese Verortung in der Welt definiert das Unternehmen oder die Marke. Gestaltung kann sinnstiftend sein – eben eine Geschichte erzählen.

Wer an Storytelling – bzw. „Geschichten erzählen“ denkt, der erinnert sich vielleicht an die Gute-Nach-Geschichte, die mündlich erzählt wird oder aber man hat eine Text vor Augen, wie Roman oder Novelle. Aber ist das die Zukunft des Storytellings? Wie wichtig ist aus deiner Sicht das das Visuelle?

Hallo …das ist ja wohl eine rhetorische Frage. Du fragst mich als Grafikerin – und wir beide haben zusammen genau darüber ein Buch geschrieben („Visual Storytelling – Visuelles Erzählen in PR & Marketing“, O´Reilly 2015).

In den letzten fünf Jahren hat das Visuelle in allen Bereichen der Kommunikation massiv zugenommen. Auch wenn es gerade im Trend ist, von Podcast, Clubhouse und Audio zu schwärmen, so bin ich fest davon überzeugt, dass wir in Zukunft noch viel mehr visuelle, neue Formate sehen werden. Instagram, die Plattform, die visuelles Erzählen am stärksten promotet hat, wird gerade von den über 50jährigen entdeckt und die Jungen tauchen mit TikTok in ganz neue, visuelle Welten ab. Ästhetisch ist für mich TikTok schwer zu ertragen, aber doch sieht man, welche Wucht diese Ausdrucksform hat. Instagram und TikTok belegen, dass wir die Möglichkeiten des visuellen Storytellings noch lange nicht ausgereizt haben und dass in der Zukunft noch viel aufregendere Formen auf uns zukommen werden. Also: Augen aufhalten.

Ulrike Heppel ist nicht nur seit über 25 Jahren erfolgreich mit ihrer Agentur „Twogether – für Design und Kommunikation“, sie ist auch, zusammen mit Sabine Fuchs, die Initiatorin und Mitautorin von „Fuck the Falten“, einem Blog, der sich an Frauen richtet, die mitten im Leben stehen. Aus diesem Thema entstand auch ein extrem erfolgreicher Instagram-Kanal und ein Buch mit dem wunderbaren Titel „Fuck the Falten: Wild bleiben statt alt werden“, erschienen bei GRÄFE UND UNZER.

Foto: Ulrike Heppel


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