pssst... wie geht´s, Frau Klemm?


Wie ging es Kreativen und Storytellerinnen mit dem Lockdown? Ich hab da mal nachgefragt. Heute bei Katrin Klemm. Sie ist Story Coach, sie ist Buchautorin – vor allem aber ist sie eine ganz wunderbare Geschichtenerzählerin.

Wer sich mit Katrin zum Interview trifft, der kann sich von der ersten Minute an auf eine kleine Tsunami an Geschichten freuen. Denn Katrin Klemm nutzt jede Gelegenheit, um zu erzählen. Sie hält sich nicht lange theoretisch auf, sondern pflanzt jeden Gedanken mit einem merkfähigen Bild in das Gehirn ihrer Zuhörer. Ein Gespräch mit ihr - über Kreativität und Storytelling - fühlt sich an, wie ein Ausflug in die Stadt der träumenden Bücher und das hat seinen Grund …


Hallo Katrin, diese Reihe an Interviews startet immer mit der gleichen Frage, also auch mit dir: Kreative waren in der letzten Zeit ziemlich eingeschränkt. Ein Tag gleicht fast dem anderen. Kein Schwätzchen mit dem Barista im Café ums Eck, kein Reisen, kein Museum. Inspiration und Stimulanz sind weg, oder? Wie bewahrt man sich als Storytellerin, Autorin und Coach in so einer Zeit seine kreative Ader? Wo holst du dir Ideen?

Ich habe gar nicht den Eindruck, ein „zu wenig“ zu haben oder limitiert zu sein. Im Gegenteil. Mein Problem ist eher, dass ich zu viele Ideen habe. Sie fliegen mir zu. Ständig. Auch in dieser Zeit. Was ich dringend brauche, ist ein Jonglierkurs, um mit all diesem Stoff umzugehen. Das hört sich wie ein Luxusproblem an, aber die Fülle wird zur Last – ich mache einfach zu viel.

Die Rückzugssituation im Lockdown war und ist für mich nicht schrecklich. Bitte nicht missverstehen, an Corona ist nix positiv. Aber ich bin ein Stubenhocker und ich liebe es, mich kiloweise in Bücher zu vergraben. Das ist für mich der perfekte Zustand. Das war schon als Kind so. Mein Lieblingsort war der Bücherbus, der regelmäßig die wunderbarsten Welten zu mir nach Hause brachte. Und auch heute noch würde ich am liebsten in die Zentralbücherei in Hamburg einziehen.

Bücher stecken voll von Ideen. Bücher bieten Perspektivwechsel. Bücher sind Bühnen und natürlich Erzählräume. Ursprünglich wollte ich mal ans Theater. Dramaturgie und Regie wäre der Traum gewesen. Aufgewachsen bin ich in der ehemaligen DDR. Dort hielt ich mich aber nicht an die Spielregeln und so war die Theaterkarriere verbaut. Über Umwege wurde ich dann Buchhändlerin. Ein erster kleiner Schritt, zu dem, was ich heute mache: Menschen zu helfen, die für sie passenden Geschichten zu finden.

Aber selbst ein „Stubenhocker“ vermisst doch auch Dinge wie Theater, Konzerte oder einfach nur ein Abend mit Freunden?

Was mir vor allem fehlt, ist das Spontane, das Ungezwungene. Geschichten entstehen immer dort, wo etwas Unerwartetes passiert. Und das ist jetzt ein Dilemma. Unser Leben reduziert sich auf das immer Gleiche: die vier Wände, in denen wir leben und im Homeoffice auch arbeiten, die immer gleichen Spaziergänge, die immer gleichen Gespräche. Unsere Welt ist irgendwie vorherseh- und erwartbar geworden.

Ich hoffe, dass sich das bald ändert. Doch so ereignisarm uns das Jetzt erscheint, so monoton ist es gar nicht. Ich rate jedem, diese Zeit bewusst wahrzunehmen. Durch das Erzählen von Geschichten geben wir unserem Leben – in der Rückschau und in der Vorschau – einen Sinn. Daher stellt sich schon jetzt die Frage: was werden wir über diese Zeit erzählen?

Du verstehst Storytelling also als Erklärmuster für die Vergangenheit?

Die Art und Weise, wie wir über uns erzählen, sagt doch einiges über uns aus, oder? Auch das, was wir nicht erzählen. Und gerade Brüche in Biographien sind für Geschichtenerzähler spannend. Dieses Corona-Jahr bietet für uns alle Stoff, unsere eigene Geschichte neu oder anders zu erzählen.

Gilt das auch für deine Story?

In meiner Geschichte gibt es so viele Wendungen - Corona hat da nur eine weitere hinzugefügt.

Nach der Wende habe ich den Büchern den Rücken gekehrt und bin ich nach Hamburg gezogen. Im Westen wollte ich nun vollkommen neu durchstarten. So landete ich nach meinem Studium irgendwie in der IT und im Management von Großprojekten. In gewisser Weise ist das Leiten solch riesiger Projekte ähnlich wie die Arbeit am Theater. Als Projektleiter führt man Regie in seinem Projekt mit seinem Ensemble oder Team – das war also gar nicht so weit weg von dem, was ich immer machen wollte.

Aber der Ausflug in die Wirtschaft führte mir eines vor Augen: IT-Prozesse und -Systeme interessieren mich gar nicht. Mich interessieren die Menschen, die darin involviert sind.

Eine Geschichte lebt erst durch ihren Erzähler. Er oder sie gibt der Story einen Sinn – ganz besonders in der Geschichte über das eigene Leben. Und genau hier wird es spannend für mich… mich interessiert der Mensch hinter einer Story. Vielen ist ihre eigene Geschichte gar nicht bewusst. Man kann diese sogar systematisch suchen – eine Systematik, die ich im Prozessmanagement gelernt habe. Und in manchen Fällen … kann man sogar helfen, die Geschichte besser zu erzählen. Genau das ist es, was ich heute – nach all den Wendungen in meinem Leben - mache.

Kreativität ist für dich also ein Findungsprozess. Du machst dich mit deinen Kunden und Kundinnen auf die Suche nach ihren Geschichten. Welche Methoden wendest du dafür an? Gibt es Tricks, die diese Suche erleichtern?

Vor über hundert Jahren, 1919, erkrankte Milton H. Erickson im Alter von 18 Jahren an Kinderlähmung. Er fiel ins Koma und man gab ihm wenig Überlebenschancen. Nach drei Tagen jedoch wachte Erickson auf – allerdings war er vollkommen gelähmt. Bei vollem Bewusstsein war er gezwungen seine Umgebung ausschließlich passiv zu beobachten. Schon als Kind war Erickson durch außergewöhnliche Vorstellungskraft aufgefallen – und diese wurde jetzt zu seiner Rettung. Durch Konzentration und Imagination motivierte er seine gelähmten Muskeln und schaffte es nach einem Jahr an Krücken zu gehen. Zwei Jahre später lief er ganz ohne fremde Hilfe. Er studierte Psychologie, vertiefte sein Wissen über die Kraft der Gedanken bis hin zum Einsatz von Hypnose. Erickson gilt als Wegbereiter der Hypnotherapie. Sein Wirken hat bis heute großen Einfluss auf die Arbeit von Psychotherapeuten und Psychologen.

Für mich ist an seiner Arbeit der Zugang zu Menschen und sein Umgang mit Sprache besonders inspirierend. Erickson war ein sehr sensibler und genauer Beobachter und gleichzeitig ein wunderbarer Storyteller. (Pflichtlektüre für alle Storyteller sollten die „Lehrgeschichten von Milton H. Erickson“ sein).

Jetzt schwärme ich von einem amerikanischen Psychologen, der seit über 30 Jahren tot ist und du fragst dich: Wo ist der praktische Tipp? Ganz einfach: gut beobachten, seine Vorstellungskraft trainieren und dann: Nach Verbindungen suchen.

Bei kreativen Prozessen geht es immer um die Suche nach „Verbindungen“. Was passt zueinander, was nicht? Welche Kombination ist offensichtlich und welche ist ungewöhnlich. Die Suche nach einer Idee besteht daher aus drei Schritten. Erstens: Sammeln. Zweitens: Sortieren und Strukturieren. Und drittens: Verbindungen schaffen.

Wie das konkret aussieht, liegt auf der Hand, oder? Post-its. Ich liebe Post-its. Mein Büro ist ein Meer an Post-its. Auf der Suche nach einer Idee und einer Story klebe ich einen ganzen Raum mit Post-its zu. Mit Hilfe der kleinen bunten Zettelchen kann man wunderbar die Stofffülle vor Augen führen, die einem zur Verfügung steht. Und gleichzeitig flexibel Beziehungen zwischen den einzelnen Themen, Aspekten und Ideen ziehen. Beziehungsgeflechte sind Geschichten – aus diesem Grunde liebe ich auch Mindmap.

Aber wo findest du den Stoff für all die Post-its?

Im Bett. Ohne Witz. Mein Tipp: Bitte morgens nicht zack, zack, raus aus dem Bett springen und rein ins Leben hüpfen. An der Schwelle zwischen „nicht-mehr-schlafen“ und „noch-nicht-wach-sein“ entfalten sich – ganz von allein - erste Ideen, die passend sind für die Aufgaben, die anstehen. Es braucht Vertrauen, dass das funktioniert. Für mich war das am Anfang nicht einfach. Es ist eine Lektion, die ich selbst mühevoll lernen musste. Voll Tatendrang wollte ich raus. Aber dieses Morgenritual, diese Inkubationszeit im Bett, ist für mich mittlerweile unglaublich wichtig geworden. Ich döse ein Weilchen vor mich hin und gönne mir ein paar Minuten – in denen garantiert gutes Material kommt. Kann ich sehr empfehlen.

Dann stellen wir den Wecker also früher und freuen uns auf die Extra-Minuten, um unsere Imaginationskraft zu trainieren – danke für den Tipp. Lass uns nun noch zu unserer gemeinsamen Leidenschaft kommen - dem Storytelling. Wir bezeichnen uns beide als Storyteller, nutzen den Begriff aber unterschiedlich. Was ist deine Definition von „Storytelling“?

Wie viel Zeit habe ich? Das ist ein riesiges Feld. Aber lass mich so anfangen: meiner Meinung nach sind die meisten, die derzeit über „Storytelling“ sprechen, zu sehr auf das „Telling“ fixiert. Storytelling ist viel mehr. Es ist auch „Listening“ – also gutes Zuhören. Es ist auch „Sculpturing“ – also das Formen einer Geschichte. Und es ist auch „Transforming“ – der Veränderungsprozess, der durch das Erzählen angestoßen wird.

Storytelling ist ein reichhaltiger Prozess, der sich mindestens auf zwei Fragestellungen gründet. Erstens: Kann man das Gras der Story wachsen hören? Wie gut hört man hin, um die Geschichte zu finden? Und zweitens: Wie gut kann man das Story-Material dann kneten, dass was Gutes dabei rauskommt. Geschichten sollen ja einer Sinnstiftung dienen, sie haben einen Zweck, warum wir sie erzählen.

Denn Geschichten helfen nicht nur dem oder derjenigen, der die Geschichte hört, dem Zuhörer. Sondern auch demjenigen, der die Geschichte erzählt, dem Erzähler oder der Erzählerin. Es ist eine Symbiose zwischen Erzähler und Zuhörer.

Wie bei Napoleon-Fisch und Putzerfisch. Der Fisch mit der dicken Lippe profitiert davon, dass ein kleiner Putzerfisch an ihm rumknabbert. Die beiden leben in einer Putz-Symbiose. Genau so kann auch der Erzähler nicht ohne den Zuhörer und umgekehrt. Beide profitieren von der Story – auf ihre Weise.

Storytelling ist aber nicht nur ein Abhängigkeitsverhältnis, bei zwei nebeneinander herschwimmen. Eine Geschichten schafft eine Verbindung und lässt etwas Neues entstehen. Erzähler und Zuhörer bilden im Storytelling eine Synthese. Die gemeinsame Erfahrung der Geschichte transformiert beide. Das ist die Magie des Storytellings.

Der Erzähler muss dann aber auch wirklich etwas Interessantes zu sagen - zu erzählen – haben, oder?

Selbstverständlich. Deswegen ist die Unterscheidung zwischen „Plot“ und „Story“ so wichtig. Unter „Plot“ versteht man die oberflächliche Handlung einer Geschichte und die Technik des Erzählens – also die Worte, die man wählt. Kommt eine Klientin mit dem Auftrag zu mir „Helfen Sie mir, meinen Bühnenauftritt in vier Wochen vorzubereiten“, dann erwartet sie, dass wir uns um Inhalt, Struktur, Bühnenpräsenz kümmern. Alles wichtig. In meiner Definition von StoryCoaching ist all das: „Plot“.

„Story“ geht dagegen viel tiefer. Damit ist der eigentliche Sinn der Geschichte gemeint.

Klar wird das bei einer „Desire Story“. Eine „Desire Story“ erzählt davon, wer man selbst ist. Was einen als Person und besonderen Menschen definiert. Um seine „Desire Story“ zu finden und zu erzählen, braucht es Mut, Aufrichtigkeit und auch Vertrauen in die eigene Intuition. Mut braucht man, weil man sich mit so einer Geschichte auch ein bisschen „nackig“ macht. Man gibt etwas von sich selbst preis. Wenn diese Geschichte aber aufrichtig und authentisch erzählt wird, kann sie sehr stark wirken – auf Erzähler und Zuhörer.

„Authentizität“ wird so oft im Zusammenhang mit Storytelling genannt wird. Doch kann eine Geschichte tatsächlich „authentisch“ sein? Ist Storytelling nicht in irgendeiner Form immer eine Inszenierung?

Gute Frage, denn die Problematik beginnt schon bei der Definition von „Authentizität“. Irgendwie glauben wir ja alle zu wissen, was „authentisch“ ist, aber können wir den Begriff tatsächlich definieren? Ich bezweifle es. Vor allem nämlich spüren wir – intuitiv -, wenn etwas nicht „echt“ oder nicht „aufrichtig“ ist. Man kann sich daher bemühen, authentisch zu wirken oder mit Hilfe eine Geschichte Authentizität zu inszenieren, aber Authentizität lässt sich nur schwer faken. Als Zuhörer haben wir ein feines Gespür dafür, ob eine Geschichte dem Erzähler oder der Erzählerin etwas bedeutet oder nicht. Und allein das ist schon ein deutliches Zeichen für Authentizität.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft. Corona gehört da hoffentlich der Vergangenheit an. Aber wie geht es weiter - mit dem Thema Storytelling?

Ich hoffe, dass wir Stoff für Geschichten aus dieser Zeit mitnehmen. Vor allem aber, dass wir tiefer und besser erzählen. Dass wir uns weniger auf den Plot fokussieren, also weniger über „schneller“, „höher“, „weiter“ reden und mehr davon erzählen, was wirklich wichtig ist.

Stories können ein Lebensmodell beschreiben – und jetzt ist die Zeit, dieses Lebensmodell zu prüfen, zu justieren und neu davon zu erzählen. Jeder Mensch hat eine Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden.

Ganz besonders möchte ich dabei Frauen ermutigen, mehr zu erzählen. Über sich zu erzählen, über ihre Wege und ihre Wünsche. Storytelling ist kein passiver Akt. Es ist ein bewusster Prozess, das eigene Leben und die eigene Karriere zu beschreiben und damit zu gestalten. Eines ist für die Zukunft auf jeden Fall klar: die Helden-Reise ist auch eine Heldinnen-Reise. Wir brauchen also dringend mehr Geschichten von diesen Heldinnen – von wunderbaren Frauen.


Katrin Klemm ging in ihren 30ern selbstbestimmt ihren Weg, schaute in ihren 40ern genauer hin und will jetzt, in ihren 50ern wissen: Was kommt jetzt.“ Dabei hilft sie als Coach, Trainer und Mentor Menschen ihre Geschichte zu finden und zu erzählen, tut dies aber auch selbst sehr gerne und wunderbar in ihren Büchern. Ihre Businessromane handeln von verschwundenen Hunden, Schneekugelstürmen und Entscheidungen für´s Leben. Und selbstverständlich von wunderbaren Stories. Die Lust am Schreiben kombiniert sie aber auch mit der Lust am Kochen. Sobald es wieder möglich ist, lädt sie in ihrer Eventreihe „Storyteller“ fünf Frauen zu vier Stories und drei Menügängen ein und verbindet drei Leidenschaften: Kochen, Essen und Storytelling.

Wer noch mehr Kreative kennenlernen will – zum Beispiel den Brasilianer und Mäusedompteur Jef L. Cocate oder die Sketcherin und visuelle Storytellerin Stefanie Kowalski - und neugierig ist auf Tricks, wie man kreativ bleibt, auch in schwierigen Zeiten, der findet weitere Interviews auf meinem Blog „Amazing Stories“.

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