pssst... der SAMMERY Newsletter

 

Die neue Wirklichkeit – Was zur Hölle ist denn da draußen los? Ein Newsletter über radikale Kommunikationstaktiken in der PR, Zone Flooding, Postfaktiziät, Poggo-Strategien und Ausblicke in das Jahr 2025.


Neulich poppte ein Warnfenster an meinem Computer auf: „Ihr PC hat nur noch 14 % Speicherplatz“. Wie bezeichnend, dachte ich, dies trifft genauso auf meine Gefühlslage zu. Die Ereignisse in der Welt überschlagen sich dermaßen, dass der Speicherplatz am Computer und in meinem Gehirn einfach nicht ausreichen mag. 
Wie also umgehen mit Überforderung? Jeder reagiert da anders. Ich halte mich in solchen Situationen an Marie Kondo: erst einmal aufräumen. Daher ist dieser Newsletter nicht ein Feuerwerk an Inspiration – davon bekommen wir draußen viel genug. Nein, es ist eine aufgeräumte Edition mit ein paar Einordnungen, Definitionen und Ratschlägen. 

Ich hoffe, das hilft auch Ihnen, etwas mehr Speicherplatz zu finden, Ihre Petra Sammer

Die neue Wirklichkeit: Enttäuscht vom großen Vorbild

Ich habe 25 Jahre in einer amerikanischen Agentur gearbeitet. Es war die beste Zeit meiner Karriere und ich bin sehr dankbar dafür. Und auch, wenn uns Deutsche einiges an den US-Kollegen und Kolleginnen genervt hatte („Terrific“, „Awsome“), so waren sie doch in vielen Dingen immer ein Vorbild für uns: Die positive Art und Weise, Gespräche zu führen. Der unverzagte Blick in die Chancen, anstatt in die Risiken. Der Spirit, gemeinsam als Team etwas zu erreichen. Und jetzt? Die Wut über Donald Trump und seine Truppe rührt nicht nur aus deren tatsächlicher Politik, die sich negativ auf unsere Wirtschaft und das weltpolitische Miteinander auswirken wird. Sie rührt auch aus der tiefen Enttäuschung über das einstige Vorbild, das wir so lange vor Augen hatten.

So schreibt auch Felix Beilharz auf LinkedIn: „Ich gebe es zu: Seit Kindheitstagen bin ich USA-Fan. Seit 2012 war ich über ein Dutzend Mal drüben, häufiger als in jedem anderen Land. Beruflich wie privat, inkl. Hochzeitsreise, Weiterbildungen und Roadtrips mit den Jungs. Ein Traum! (…) Wenn ich an Amerika danke, schwingt immer ein Hauch von `Freedom´ mit. Aber wie viel davon ist nur gefühlte Wahrheit? Kindheitserinnerungen aus Werbung, Kino und TV? Urlaubseindrücke? Oder gar `alternative facts´?
Schmerzhaft legt Beilharz den Finger in die Wunde. Wir laufen seit Jahrzehnten einem Narrativ hinterher, das die USA bis zur Perfektion gepflegt haben: „America, the Land of the Free.“

Aber wie viel freier und „besser" sind die USA uns gegenüber? Müssen wir uns wirklich verstecken? Felix Beilharz macht sich die Mühe und legt über 20 Kennzahlen im Vergleich USA versus Deutschland nebeneinander unter anderem:

  • Demokratieindex (The Economist) 2024:
🇺🇸 Platz 28
🇩🇪 Platz 13

  • Rangliste der Pressefreiheit
🇺🇸 Platz 55
🇩🇪 Platz 10

  • Weltfriedens-Index 2024
🇺🇸 Platz 132
🇩🇪 Platz 20

  • Global Gender Gap (World Economic Forum) 2023 (je höher, desto gleicher)
🇺🇸 Platz 43
🇩🇪 Platz 6

  • Good Country Index (Simon Anholt) Version 1.4
🇺🇸 Platz 38
🇩🇪 Platz 3

  • Quality of Life Index
🇺🇸 Platz 22
🇩🇪 Platz 7

Alle Daten und Quellen finden Sie hier. Dickes Danke an Felix Beilharz für diese Fleißarbeit.

Eine alte Bekannte

Ja, es sind neue Zeiten. Und die größte Veränderung ist wohl die Änderung der Ordnung und ihrer Spielregeln: die Verschiebung von einer regel-basierten zu einer macht-basierten Ordnung (Wenn Sie sich fragen, was genau Sie eigentlich verteidigen, wenn Sie für die Demokratie kämpfen? Das ist es: eine Demokratie ist eine regelbasierte Ordnung. Im Gegensatz zu macht-basierten Systemen. Das ist Faschismus. Und genau deswegen verlässt der berühmteste Wissenschaftler der Yale-Universität und Historiker Timothy Snyder die USA und geht in Exil nach Kanada).

Mit der Veränderung zu einer macht-basierten Ordnung kommt auch eine andere Form der Kommunikation daher: Propaganda. Der streitbare Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen warnt schon lange vor dieser „alten Bekannten“, sieht er doch das Zeitalter der Propaganda heraufkommen. Weniger – aber auch - wegen Trump, sondern viele mehr wegen der schamlosen Nutzung von Social Media, negativ-befeuernden Algorithmen und den alle Grenzen verschiebenden Möglichkeiten durch KI: „Manchmal, in dunklen, pessimistischen Momenten, denke ich: Was muss eigentlich noch passieren, bevor eine lethargische Bildungspolitik – trotz des Desinformationsgewitters der Gegenwart – aus ihrem Tiefschlaf erwacht? (…) Und was muss geschehen, bevor die offene Gesellschaft begreift, dass sie mit ihrer Weigerung, Medienbildung mit normativer Entschiedenheit zu betreiben, sehenden Auges ihre eigenen Grundlagen zerstört?“ Mehr von Bernhard Pörksen in diesem Artikel und in seinen Büchern.


Glossar der neuen Wirklichkeit

Helen Fischer ist promovierte Kognitionspsychologin am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Sie untersucht neue Kommunikationstaktiken und kommt zu dem Ergebnis, dass diese besser sind als die Vorgängermethoden der 30 und 40Jahre des letzten Jahrhunderts. Insbesondere die Methode des „Zone Floodings“: „Diese Methode haben wir mit klassischer Propaganda verglichen, die nur falsche Aussagen enthält. Tatsächlich ist klassische Propaganda effektiver darin, die Fähigkeit der Menschen zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge zu unterminieren. `Zone Flooding´ führt aber womöglich zu einer allgemeinen Leichtgläubigkeit,“ so Helen Fischer.

Zone Flooding? Deny & Deflect? Bushit Flooding? Idiocracy? Mad-Man-Taktik? Das sind die Kommunikationsstrategien der neuen Zeit. Wir leben in geopolitisch, wirtschaftlich, sozial neuen Zeiten. Vor allem aber sprachlich.

Sprache wird durch Machtverhältnisse geprägt. Die neuen Machtverhältnisse in den USA, aber auch in anderen Regionen dieser Welt (über 70 % der Weltbevölkerung leben in Diktaturen oder autokratischen Systemen) verändern den Tonfall. Durch das Erstarken populistischer Kräfte in fast allen westlichen Demokratien ändert sich auch die Sprachkultur.

Und selbstverständlich spielen auch die Algorithmen der Social-Media-Plattformen eine Rolle. Eine neue Wirklichkeit. Auch für Kommunikationsprofis in PR und Marketing. So ist es dringend geboten, die Ausprägungen, Strategien, Taktiken und Wirkungsweise dieser neuen Sprache zu lernen … und deren Fachbegriffe. Einige der wichtigsten finden Sie im Glossar der Neuen Wirklichkeit – hier.

Die neue Wirklichkeit. Und jetzt?

Welche Strategien stehen uns Kommunikationsprofis und Storytellern zur Verfügung, um auf den ganzen Wahnsinn zu reagieren? Hier drei Konzepte, die Ihnen vielleicht helfen: Kontroverse, Pogo und einfach einfacher.

1. Mehr Kontroverse wagen: Doris Christina Steiner, Power-Creative und Gründerin von neongreen attention consultancy wirft ihre 80/20-Empfehlung von vor vier Jahren über den Haufen und rät ganz klar zu mehr Kontroverse. „Als wir die Kampagne Hashtag#Wetterberichtigung für die Neuen Deutschen Medienmacher:innen konzipierten, habe ich gesagt: Wir brauchen 80 % Zustimmung und 20 % Dissonanz, um sie groß zu machen. Die 80 % schaffen die Basis, sie zeigen Anschlussfähigkeit, Identifikation und Relevanz. Die 20% fügen den Spice hinzu. Die Aufreger, die Hater – sie treiben den Diskurs und locken vor allem auch die Befürworter:innen, sich zu äußern. (…) Heute sage ich: Die Balance hat sich von 80/20 zu 60/40 gewandelt.“ Was das genau hinter dieser Taktik steckt, lesen Sie hier.

2. Pogo statt Schach: Die regel-basierte Ordnung scheint zusammenzubrechen. Wer weiß schon, was morgen ist? Alle Regeln fallen, alle Verlässlichkeiten entweichen. Wie kann man in unvorhersehbaren Situationen agieren, planen und verhandeln? Patrick Castellani hat sich für seinen Podcast, die Systemanalytikerin und Kybernetikerin Gitta Peyn an die Seite geholt, um diese Frage zu besprechen. Ihre überraschende Antwort: pogofähig werden. 

Die Gen X weiß genau, was jetzt gemeint ist. Pogo – der Tanz der Punkszene in den 70ern – war ein wildes Gehüpfte, das vor allem von den kurzen und heftigen Kontakten zu anderen Tanzenden lebte. Ein ständiges, Bouncen zwischen Körpern, das an Energie ständig zunahm, als würde man sich gegenseitig aufladen. Und genau dazu rät Gitta Peyn in der Kommunikation und in Verhandlungen. 

Anstatt sich also langwierig in Strategieplanungen zu verstricken oder Energie zu verlieren in der Überlegung unzähliger Zukunftsszenarien, sollte man viel besser kurzfristig reagieren, mit kleinen, flexiblen Schubsern vorangehen, dabei aber absolut offen für unterschiedliche Richtungen bleiben. Alte Strategiedenke vergleicht Peyn mit Schach. Herausfordernde, anspruchsvolle, vorausschauende Denke. Toll, aber heutzutage absolut unbrauchbar. Pogo ist angesagt. Nachzuhören und nachzulesen hier – Apropos Verhandlungen: ebenso sehr hörenswert: Matthias Schranner, Verhandlungsprofi im TOMorrow Business Podcast über die Kunst des Verhandelns mit Donald Trump und anderen.

3. Einfach, einfacher, noch einfacherer: Im Kopf herrscht einfach nur noch Nebel? Genau das ist der Zweck der fatalen Kommunikationsstrategien wie „Deny & Deflect“ oder „Zone Flooding“ (siehe Glossar der neuen Wirklichkeit). Das Einzige, das dagegen hilft, ist eine klare, einfache Sprache. Peter Modler bezeichnet dieses als „Basic Talk“. 

In seinem Buch „Mit Ignoranten sprechen – Wer nur argumentiert, verliert“ unterscheidet er zwei Konzepte „High Talk“ und „Basic Talk“. Unter „High Talk“ versteht man eloquente und akademische Sprache. „Basic Talk“ dagegen ist kurz, knackig, einprägsam. Gebildete Menschen mit Hochschulabschluss versuchen „Basic Talk“ zu vermeiden, erscheint diese Art zu reden doch einfältig und simpel. Und doch ist diese Sprache – besonders in diesen Zeiten – die erfolgreichere. Also üben Sie. 
Wie? Ganz einfach: halten sich an einen „Gunning Fog Wert“ um die 10. Robert Gunning entwickelte 1952 eine komplexe Formel, mit der man die Lesbarkeit von Sätzen errechnen kann. Der Gunning Fog Index gibt einen Überblick über die Komplexität von Sprache. Probieren Sie es aus. Einfach einen Absatz hochladen und schon erhalten Sie Ihren Gunning-Fox-Wert (übrigens, der Absatz, den Sie gerade gelesen haben, hat einen Wert von 10,38 auf einer Skala von 1 bis 15). Hier geht’s zum Test (auch für Deutsch).

 Lüge als Staatsprinzip

1939 bat Erika Mann den Schriftsteller Bruno Frank um einen Beitrag für die antifaschistische Schriftreihe ihres Vaters, Thomas Mann. Dabei betonte sie, er möge die „analphabetischen Landsleute in Deutschland recht schlicht ansprechen, denn je direkter man auf ihr tägliches Leben eingeht, desto besser wird man sie rühren.“ Bruno Frank schrieb daher einen ziemlich drastischen Essay, in dem er Adolf Hitler einen „Mann aus der Gosse“, „hysterischen Komödianten“ und „unfähigen Tramp“ bezeichnete. Leider wurde sein Essay nicht veröffentlicht, denn Nazi-Deutschland marschierte in Polen ein und die Warnungen vor dem Diktator waren vergebens. Der Verlag Das kulturelle Gedächtnis in Berlin hat Bruno Franks Essay mit dem bezeichnenden Namen „Lüge als Staatsprinzip“ jetzt frisch aufgelegt. Absolut aktuell und lesenswert (Deutschlanfunk).


Menschen treffen, Fakten einordnen, hinzulernen – hier noch ein paar Tipps, um die persönliche Festplatte zu justieren:

Trend Talk 2025 – jetzt anmelden:
Am 10. April in München diskutieren wir, Lara Busch, Kerstin Steglich, Prof. Dr. Michael Bürker und ich, welche Trends die PR in 2025 bewegen – nicht nur KI! Ein Event von DPRG & Cision. Der Eintritt ist frei. Alle Infos: hier.

Emotionale Kommunikation – aber bitte wirksam:
Wie gelingt PR mit Gefühl, ohne peinlich zu sein? In dem 90-minütigen Webinar der news aktuell academy am 14. April zeige ich, welche Emotionen wirklich funktionieren. Ich freue mich auf Sie!
Anmeldung: hier.

Storytelling für die Ohren:
Mein LinkedIn-Kurs „Storytelling für PR & Marketing“ ist jetzt auch als Audio-Training verfügbar. Schon über 6.000 Teilnehmende waren begeistert – hören auch Sie mal rein: Hier geht’s zum Podcast. 


Text: Petra Sammer | Fotos: Unsplash

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