Werkzeuge des visuellen Storytellings: Infografiken

 


Die Welt der Infografiker ist in heller Aufregung. Seit ein paar Jahren schon ist das bescheidene Reich der Balken- und Kuchendiagramme gehörig durcheinander geraten. Infografiken treten heute nicht mehr schlicht an, um Daten überschaubar und leicht verständlich darzustellen. Im digitalen Zeitalter buhlen sie jetzt um Aufmerksamkeit, betätigen sich als Entertainer und treten in Konkurrenz zu allen anderen visuellen Elementen, die um Likes und Shares der User betteln.

Kurven, Balken und Torten galten lange Zeit als selbstverständliche Begleiterscheinung von seriösen Datenverarbeitungsprogrammen wie Excel und wurden in ihrem sachlichen und nüchternen Auftreten geduldet. Doch ähnlich wie in der Typographie hat die Digitalisierung auch hier in den letzten Jahren die Büchse der Kreativität geöffnet. Den Ausdrucksformen der Datenvisualisierung sind heute keine Grenzen gesetzt.

Doch sind die kreativen Formate gar nicht so neu. Einige der schönsten Infografiken stammen aus dem 19. Jahrhundert, wie etwa die sehr modern anmutende Grafik aus London von 1840 zum Ausbruch der Cholera in Abhängigkeit vom Wetter. Die wohl erfolgreichste und bekannteste Infografik aller Zeiten erschuf Harry Beck 1933: den Übersichtsplan der Londoner U-Bahn, der in seiner Grundform bis heute verwendet wird.

Kartographie – Die Aneignung der Welt

Landkarten sind wohl die älteste Form der Infografik. Die Ursprünge der wissenschaftlichen Kartographie liegen in der Antike. Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. fertigten griechische Wissenschaftler Weltkarten an – mit dem damaligen Wissensstand von drei Kontinenten: Europa, Asien und Libyen (Afrika).

Christoph Kolumbus stach mit einer gezeichneten ptolemäischen Weltkarte in See, die Indien leider im Westen liegen sah. Auch die erste 3-D-Karte, der Globus, wurde 1492 anhand einer ptolemäischen Weltkarte erstellt. Nach der Entdeckung Amerikas wurde die fehlerhafte Verortung Indiens schnell korrigiert. Kartenmaterial wurde ständig verbessert und immer genauer. Das Machtspiel um die besten Karten der Welt dauerte bis in das 20. Jahrhundert an. Früh begann man, Karten auch über die geografische Datenvisualisierung hinaus zu nutzen: Der flämische Wissenschaftler Abraham Ortelius arbeitete 1569 an einem Atlas, der das gesamte Wissen über die Welt zusammenfassen sollte. Das »Theatrum Orbis Terrarum « war einer der ersten Atlanten und wohl auch das teuerste Buch der damaligen Zeit.

Verschaffen Sie sich einen Überblick

Die Verortung von Wissen auf Karten ist eine von fünf Kategorien, in die sich Infografiken einteilen lassen:

  1. llustrierende Grafiken arbeiten mit einfachen Bildern. Sie illustrieren schlicht und schnell Daten, in der Regel absolute Zahlen.
  2. Proportionale Grafiken arbeiten meist mit abstrakten Formen (Kreise, Kugeln, Vierecke etc.), die miteinander in Beziehung stehen. Unterschiedliche Größen und Farben symbolisieren und ordnen Werte und machen sie miteinander vergleichbar.
  3. Zeitlinien ordnen Daten und Fakten zeitlich ein und visualisieren Ereignisse auf einem Zeitstrahl.
  4. Ranglisten, Rankings und Listicles (Kunstwort aus Liste und dem englischen Wort Article, beschreibt locker aufzählend z.B. »100 Places to Visit Before You Die«) zählen Daten nach Wertigkeit auf. Die Rangfolge arbeitet dabei mit unserer Lesegewohnheit – von oben nach unten.
  5. Karten verorten Daten räumlich und helfen dem Leser, sich zu orientieren. Die Grafiken nutzen reale (Länderumrisse, Weltkarten), aber auch fiktive Karten.

Tipp: Die Reisejournalistin und Bloggerin Jenni Sparks erstellt individuelle Stadtpläne mit Reisetipps. So entstehen ganz persönliche Karten, auf denen der Leser ihre Reise nachvollziehen kann, zu sehen auf Insta unter https://www.instagram.com/jennisparks/.

Mehr Text als Bild

Das Gehirn nimmt Infografiken – ganz gleich ob Zeitlinien, Listen oder Karten – als abstrakte Abbildungen wahr und ordnet sie unserem neuronalen, logischen Sprachsystem zu - anstatt unserem visuellen. Wir verarbeiten Infografiken ähnlich wie Text, deutlich langsamer als Bilder.

Damit Ihre Infografik trotzdem zum »Hingucker« wird, sollten Sie bei der Erstellung einige Regeln beachten:

  • Big Data: Viele Daten sind hilfreich, doch verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick. Sortieren Sie großzügig aus. Für Infografiken gilt: nicht zu wenig, aber bitte auch nicht zu »big«.

  • Zuverlässige Quellen: Arbeiten Sie mit verlässlichen Quellen und validieren Sie Ihre Daten.

  • Beauty of Information: Design ist der Schlüssel zu Aufmerksamkeit, Likeability und Shareability. Erfolgreiche Infografiken bestechen durch Klarheit und Kreativität. Bei der Gestaltung ist das Einsatzgebiet der Infografik entscheidend: Grafiken, die in der Pressearbeit zum Einsatz kommen und die Journalisten und Medien aufgreifen, sollten einfach und universell gestaltet sein. Sie müssen sich in die unterschiedlichsten Designs anderer Medien einbauen lassen. Infografiken, die Sie in Ihren eigenen Medien, Magazinen, Webseiten, Social Media etc. nutzen, können aufwendig gestaltet und an Ihr eigenes Corporate Design angepasst sein.

  • Storytelling: Nicht jede Infografik erzählt eine Geschichte. Manche visualisieren schlicht, wie der Übersichtsplan der Londoner Tube von Harry Beck. Wenn Sie jedoch eine Story erzählen, dann beherzigen Sie die Bausteine einer guten Geschichte:

  • Der »Kern« der Story: Definieren Sie, was Sie mit Ihrer Infografik bezwecken wollen. Denn jede gute Geschichte braucht einen guten Grund, erzählt zu werden.

  • Der »Held«: Die Hauptfigur einer Infografik ist der zentrale Blickpunkt der Grafik. Helfen Sie dem Leser, sich in Ihrer Geschichte zu orientieren.

  • Der »Konflikt«: Jede gute Geschichte beginnt mit einem Konflikt. Auch Infografiken benötigen einen attraktiven Spannungsbogen, um Interesse zu wecken. Dieser kann visuell gestaltet sein, zum Beispiel durch kontrastreiche, starke Farben und ungewöhnliche Bildmotive. Er kann sich aber auch inhaltlich ausdrücken durch die Darstellung konkurrierender Daten und überraschender Fakten.

  • Emotionen: Gute Geschichten wecken Emotionen, und das gelingt auch Infografiken. Sie können erstaunen, überraschen, erschrecken. Gute Infografiken berühren uns und entlocken uns z.B. ein Schmunzeln oder gar ein Lachen.

  • Viralkraft: Gute Geschichten werden weitererzählt. Und so ist es auch bei Infografiken ein Zeichen von Qualität, wenn man über sie spricht und sie weiterverbreitet. Gute Infografiken lassen sich transmedial vielfältig nutzen – zum Beispiel reduziert als Tweets oder animiert für das Medium Film.
Tipp: Hans Rosling ist ein Pionier des visuellen Storytellings. In seinen Vorträgen und Videos begeistert der schwedische Gesundheitswissenschaftler sein Publikum durch den gelungenen Einsatz von Infografiken. Unbedingt sehenswert: http://bit.ly/1rr1iin

Was bringt die Zukunft für Infografiken?

Die Formen und Designs von Infografiken wandeln sich ständig, doch zeichnen sich derzeit drei Trends ab, die Einfluss auf die Datenvisualisierung der Zukunft nehmen werden und die Unternehmenskommunikatoren und Marketingexperten deshalb im Blick behalten sollten.

Trend 1: Fotorealismus und 3-D-Effekte

Waren grafisch aufbereitete Infografiken bisher die Regel, wird die Zukunft mehr fotorealistische Motive bringen. Darüber hinaus werden kreative 3-D-Darstellungen im Print, vor allem aber in Bewegtbild mit Hilfe von Motion Graphics und Animation verstärkt zum Einsatz kommen.

Trend 2: Animation

Die Grafiker und Journalisten Kevin Quealy und Graham Roberts begeisterten die Leser der New York Times Online 2012 mit einer Infografik, in der Usain Bolt, der Olympiasieger im 100-Meter- Sprint von London, gegen alle bisherigen olympischen Läufer seit 1896 antrat. Die animierte Infografik zeigt, wie schnell der Jamaikaner mit seinem Weltrekord von 9,63 Sekunden tatsächlich war. Eine wegweisend Arbeit - Vorreiter für viele animierte Infografiken, die folgen sollten.

Doch die Datenanimation bleibt an diesem Punkt nicht stehen. Jüngster Trend sind »Animagraffs«, die die Möglichkeiten der animierten Grafik mit der Technik von Gifs (Graphics Interchange Format, die es seit den 90ern gibt) kombinieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Grafik »How a car engine works« auf der Onlineplattform Animagraffs von Jacob O’Neal.

Trend 3: Life-Visualization

In der komplexen Welt, in der wir leben, wird die einfache Darstellung von Informationen immer wichtiger. Und das gilt nicht nur für Offline- und Onlinemedien, sondern auch für die Livekommunikation bei Events und Veranstaltungen. Die Daten und Fakten, die auf Konferenzen und Kongressen präsentiert werden, sind oft so umfangreich, dass das Publikum überfordert ist. Infografiker, die live und in Echtzeit Fakten vor Ort visualisieren, können hier Hilfestellung geben. »Graphic Recording«, auch »Visual Facilitation« genannt, kommt bereits heute bei vielen Meetings und Workshops zum Einsatz. Die Grafiker zeichnen und illustrieren die Livebeiträge der Sprecher und Teilnehmer und erstellen dadurch ein optisches Protokoll. Ergebnis dieser Skizzen ist visuelles Storytelling zur Live-Veranstaltung mit Geschichten und Materialien, die sich vielfältig weiternutzen lassen – ob als Poster, animierte Onlinegrafiken oder auch als Videobeiträge auf der eigenen Website.

Tipp: Steven Johnson präsentiert die Grundthesen seines Buchs »Where good ideas come from« mithilfe eines Graphic-Recording- Videos.

Basis der Arbeit dieser Graphic Recorder sind Sketchnotes, handgezeichnete Notizen, die sowohl aus Text als auch aus Symbolen und Bildern bestehen. Viele der verwendeten Symbole sind Ihnen vielleicht bekannt, weil Sie sie selbst benutzen.

Trend 4: Mixed Reality

Und dann klopft da schon der nächste Trend an, der Online-Infografiken, Gifs, Life-Visualization und alles kombiniert: die Datenvisualisierung mit Hilfe technischnischer Möglichkeiten wie Virtual oder Augmented Reality. Mit Hilfe des Smartphone-Displays ergänzt man die Wirklichkeit um wichtige Daten – einfach Screen vor einen Gegenstand, einen Ort oder eine Person halten und schon spuckt der Computer dank künstlicher Intelligenz zusätzliche Informationen und Daten aus.

Moment mal ... Sie auch?

Sind auch Sie – wie Albert Einstein, John F. Kennedy oder Steve Jobs – ein »Doodler«? Zeichnen Sie während Telefonaten und Meetings? Gut so, denn Psychologen der Universität Plymouth fanden 2009 heraus, dass dieses sinnlos erscheinende Gekritzel einen Zweck hat. Die Wissenschaftler baten Testpersonen, ein aufgezeichnetes Telefonat anzuhören. Ein Teil der Teilnehmer sollte während des Zuhörens »doodeln«, der andere Teil sollte nur zuhören. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Doodler konnten sich 29% mehr Informationen merken. Visualisierung trainiert unterforderte Gehirnregionen, fördert die Konzentration und schärft das Erinnerungsvermögen. Arbeitspsychologen fordern daher schon lange die Anerkennung und Förderung von visuellem Denken und visuellem Arbeiten als Schlüsselqualifikation für Manager und Führungskräfte. Denn diese Fähigkeiten können im Büroalltag entscheidende Wettbewerbsvorteilen bringen.

Also nochmals die Frage an Sie: »Doodeln« Sie? Wie gut sind Ihre visuellen und grafischen Fähigkeiten? Etwas Übung gefällig? Dann versuchen Sie es doch einmal so wie der französische Illustrator Serge Bloch, der um Alltagsgegenstände herum »doodelt« und so kleine Geschichten erschafft. Oder Sie nehmen sich die Tipps von Dan Roam zu Herzen, der Ihnen erklärt, wie man die Welt auf einer Serviette erklärt.

Sie wollen mehr zum Thema Datenjournalismus und Infografiken? Dann hören Sie sich das Interview mit Aron Pilhofer, Leiter des Datenvisualisierungsteams der New York Times an, der in einem ZEIT-Online-Interview über die Bedeutung von Infografiken spricht. Oder lesen Sie das Buch von Raimar Heber, Art Director von dpa Infografik: „Infographik – Gute Geschichten erzählen mit komplexen Daten“, erschienen im Rheinwerk Verlag.


Mehr zum Thema Visuelles Storytelling finden Sie auf dem Blog „Amazing Stories“ – oder in dem Buch, aus dem dieser Text stammt: „Visual Storytelling: Visuelles Erzählen in PR und Marketing“ von Petra Sammer und Ulrike Heppel, O´Reilly.

Photo by Charles Deluvio on Unsplash

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