Der Schnee von Gestern - Wir waren gewarnt
Wen interessiert der Schnee von gestern? Die Welt dreht sich so schnell, dass man all das gar nicht erfassen oder gar verstehen kann, ganz zu schweigen davon, wie man darauf reagieren soll. Gewissheiten, die gestern noch galten, sind heute schon dahingeschmolzen oder gar "verdampft". Die Frage, wie Marketing und Unternehmenskommunikation in so einer unübersichtlichen Welt erfolgreich agieren können, ist schwerer denn je zu beantworten.
Aber vielleicht hilft es doch, ein klein wenig den "Schnee von gestern" anzusehen und in die Vergangenheit zu blicken, denn die Zeichen, die diese Zeiten andeuteten, waren schon lange zu sehen und manche Prophezeiung, die noch vor kurzem als unrealistisch abgekanzelt wurde, ist heute schon Realität.
Cannes Lions 2024: Schuss mit "Purpose Marketing"
Bei den Cannes Lions im Juni 2024 war es eigentlich klar: Die Mega-Brands, allen voran die amerikanischen, verabschiedeten sich von dem einst gefeierten "Purpose Marketing". In den Jahren zuvor wurden Werbespots und Kommunikationskampagnen ausgezeichnet, in denen sich Brands im Kampf für mehr Anerkennung der LGBTQ-Community einsetzten, in denen sich Unternehmen und Marken für gleiche Rechte und Bezahlung zwischen Männern und Frauen starkmachten, die die Black Community und People of Color feierten, die sich für soziale Ungerechtigkeit engagierten und die sich ökologisch - gegen den Klimawandel und für mehr Artenschutz - engagierten. Das Verschwinden von Diversity-Themen, Inklusion und Klimaschutz im Marketing globaler Marken begann nicht im November 2024 mit der Wahl Trumps, sondern war schon im Juni in Cannes zu sehen.Stattdessen wurde der Begriff "Purpose Marketing" umgedeutet und - so die Marketingprofis auf der Bühne des Palais de Festival in Cannes - seiner ursprünglichen Bedeutung wieder zugeführt: Der "Purpose" (zu Deutsch: Zweck) eines Unternehmens ist es, Profit und Gewinn zu machen. Der ursprüngliche "Purpose" eines Produktes ist es, gekauft zu werden: Waschmittel waschen, Bier und Cola löschen Durst, Shampoo macht Haare schön. Anstatt also die kommunikative Markenpower zu nutzen, um die wirklich großen sozialen und ökologischen Probleme der Welt anzusprechen und anzupacken, zog sich die Marketing-Branche Stück für Stück zurück und konzentrierte sich stattdessen auf das Alltägliche.
Statt Weltproblemen mehr "Glimmers"
Es ist keine Überraschung, dass in Zeiten der Polykrise Marken oder Unternehmen nicht noch mehr Probleme auftischen wollen. Zwar hat - in Deutschland - die politische Überhitzung rund um das Aus der Ampelkoalition, die Aufdeckung des Remigartions-Treffen mit Beteiligung der AfD und die vorgezogene Wahl den Druck auf deutsche Unternehmen erhöht, sich politisch zu äußern und zu positionieren. Doch war dies nur ein kurzes Aufflackern in einer meinungsüberladenen Situation. Auch hier werden wir sehen, was internationale Brands bereits im Frühjahr 2024 vollzogen und bis heute fortsetzten: In den Vordergrund der Kommunikation rücken kleine, freudvolle Momente des Alltags. „Glimmers“ nennen Trendscouts diese „Micro-Momente“ wie die entspannte Tasse Kaffee am Morgen, ein Sonnenstrahl auf der Haut oder der Duft von frisch gebackenem Brot. Es sind die kleinen, banalen Dinge eben, auf die man sich in dieser polarisierten Welt gerade noch einigen kann.Und so schlecht ist das ja auch nicht. Natürlich hatte man gehofft, dass Unternehmen und Marken ihre Kraft nutzen und einsetzen, um freiwillig und als smarten Nebeneffekt, in der Welt Positives bewirken. Aber der Rückzug auf das "Eigentliche" und "Wesentliche" ist verständlich und nachvollziehbar.
Ruhe ins Tollhaus
Vielleicht ist für Unternehmen und Marken dies sogar eine Chance: Wenn die Welt politisch und kommunikativ zum Tollhaus wird, können Marketing und Unternehmenskommunikation einen Gegen- und Ruhepool bieten. Fakten liefern, statt dreister Lügen. Konkretes anbieten, statt luftleerer Versprechen. Verbindendes präsentieren, statt Spaltendes. Hoffnungsvolles statt Angstmachendes.(Ganz abgesehen davon, dass man sich wünschen würde, dass manche Unternehmer und Oligarchen sich aus der Politik raushalten, sich auf ihre Produkte und Unternehmen konzentrieren, anstatt ihre Macht zu missbrauchen, um die Welt nach eigenen, ganz egoistischen Vorstellungen umzubauen.)
Foto von Andri Wyss auf Unsplash