Wieder Witzig - Cannes Lions 2024 - Sammery 2

 

Tag 2 bei den Cannes Lions 2024 und es fühlt sich an, als ob man schon eine Woche  in dieser Bubble abgetaucht ist. Wenn man das Überangebot an Panels, Keynotes und Präsentationen zusammenfassen will, so ist das fast unmöglich, denn jeder reitet hier seine eigene Agenda. Aber ein paar Muster kann man schon erkennen: Kulturen und Nationalitäten bieten viel Stoff für Diskussion und Faszination, Humor ist zurück im Spiel und Storytelling überlebt AI. Aber der Reihe nach:

It´s the Culture, Stupid!

Ich habe lange in einer internationalen Agentur gearbeitet und erfahren, wie unterschiedlich - und stereotyp - die vielen Nationen und Kulturen sind. Und wie herrlich das ist. Das sieht man auch bei der Fussball-EM, wo die Fangruppen irgendwie alle das gleiche machen - und doch in ihrer eigenen Kultur unterschiedlich. Genau so sind die Cannes Lions. Gefühlt laufen hier zwar mehr Amerikaner rum als andere Nationen, die sind dann aber auch maximal kulturell geschockt, denn es gibt keine Eiswürfel zum Wein, es wird noch in bar bezahlt und man diskutiert in Europa hemmungslos über Politik (zur Politik kommen wir morgen).

Mein erster Talk ist indisch. Nicht vorsätzlich, aber auf der Bühne sitzen Pranav Yadav von Neuro-Insight und eine Legende: Deepak Chopra (The Chopra Foundation). Die Berühmtheit von Chopra kann man gar nicht groß genug werten, wie mir Girish Balachandran bestätigt, ein ehemaliger Kollege von Pleon, der jetzt wieder in Indien arbeitet (wie schön, ehemalige Kollegen hier zu sehen). Wie man es von Indern erwartet, hatte die Podiumsdiskussion etwas Erhabenes, ja fast Erleuchtetes, was an der unglaublichen Aura von Deepak Chopra liegt. Er präsentierte 9 Schritte für Kreativität, die dann gar nicht so durchgeistigt, sondern ziemlich real sind. Aber die Art und Weise, wie er sie vorträgt, ist wunderbar. Hier sind Chopras Stufen der Kreativität:

  1. Have an intended goal
  2. Gather as much information as possible
  3. Filter the information and analyze
  4. Take your time - incubate and embraze the uncertainty
  5. Find an insight
  6. Use the insight for inspiration
  7. Implement the insight 
  8. Leap it to a next context
  9. Tell a new story
Klingt bekannt, richtig? Ist aber trotzdem ein schöner Stufenplan, den man sich merken sollte.

Meine nächste Erfahrung ist sehr japanisch. Warum? Die japanische Agentur Dentsu präsentiert ihren Plan für Innovation mit einem Blick in die Vergangenheit und einer Liebe zur zukunfts-orientierter Technologie (ich berichtete gestern davon). Am Ende verbeugte sich der Speaker auf der Bühne vor dem gesamten Publikum - in einer ehrfürchtigen Weise, wie es nur Japaner können. Wunderbar. 

Dann war Brasilien dran. Und man sollte vorwegschicken: alle lieben Brasilianer. Sie sind die Lautesten hier, die Freudevollsten, und die Kreativsten. Das ist für alle klar. Auf der Bühne steht Marcel Marcondes für AB InBev (Marktführer in der Kategorie Bier - das schmerzt mich als Bayer). Und sein ganz herrlich emotionaler Talk "Going for Gold" referiert nicht nur darauf, dass Bier flüssiges Gold ist. Marcondes präsentierte geschickt damit das Olympia-Sponsorship mit Corona Zero (ja, richtig gehört: alkoholfreies Bier - die Amerikaner werden wieder überrascht sein - hier der Kampagnenspot Corona Zero for Olympics), und schließlich aber auch "Going for Gold" als Wettbewerbsansporn, denn Marcondes lässt keinen Zweifel daran, dass am Ende Wachstum und Profit stehen müssen.

Und dann die Amerikaner. Ich nehme mal Marc Pritchard, CMO von P&G als Beispiel. Pritchards Reden sind bei den Cannes Lions immer ein Gradmesser, denn der größte Adervtising-Spender der Welt mit Marken wie Pampers, Gillette, Ariel, gibt die Richtung vor. Das Thema seines Talks spricht Bände: "Finding Creativity in the Everyday". Ja, es geht Pritchard um das Kleine. Nachdem man die letzten Jahre groß und bold gegangen war (man denke an die großartige Olympia-Kampagne "Thank you Mom"), wird es jetzt klein und banal. Stories rückt in den Hintergrund, Produkte in den Vordergrund. Pritchard geht kein Risiko ein. Alles bitte auf Nummer sicher. Das Ergebnis sind eher langweilige - aber extrem optimierte Werbespots wie beispielsweise die Head & Shoulders-Kampagne "I don´t" - hier mal ein Beispiel wie das in Griechenland aussieht (ja, so stellen sich Amerikaner Griechenland vor ... irgendwie putzig). Und genau das ist auch das "amerikanische". Alles clean, plain, und makellos - und - sorry to say - irgendwie seelenlos. Einfach zu perfekt.

Die Welt brennt - und die Werber machen Witze

Amerikanisch und banal ist dann auch die folgende Session. Es geht um Humor. Ja, es gibt eine ganze Reihe an Talks, die Humor und Comedy in der Werbung besprechen. Das kann man also durchaus als Trend vermerken. Debbi Vandeven von VML vermerkt auf der Bühne, dass der Werbeindustrie während Covid das Lachen im Hals stecken blieb. Auch nach Ende der Pandemie traute man sich nicht, lustig zu werden. Aber jetzt hätte man das überwunden und es ist wieder Zeit, voll und ganz auf Humor zu setzten. 

Deswegen kommt Kenan Thompson von Saturday Night Live auf die Bühne. Aber so wirklich lustig wird es nicht. Das Publikum ist wohl zu international, um die vielen U.S.-Anspielungen zu verstehen und auch die Arbeit von Hellmann´s Mayo- als Humor-Beispiel - zündet nicht wirklich. Vielleicht hätte ich doch in den Talk zu Liquid Death gehen sollen - das ist wirklich schräger und großartiger Humor.  

Aber Moment mal: ist die Welt nicht am untergehen? Wetter spielt verrückt, Klima bedroht uns, Kriege, Inflation und so weiter. Wollen wir uns da wirklich in Humor flüchten? Oh ja, das wollen wir, denn schließlich geht es hier nicht darum, die Welt zur verbessern, sondern zu verkaufen. Wie sagt es Kenan Thomson: "Humor ist Ausgleich. Humor ist Heilung. Humor ist ein positiver Magnet." Also alle mal herzlich lachen. 

Passend zum Thema gewinnt am Abend eine ganz lustige Kampagne einen Grand Prix - eine Kampagne wortwörtlich zum Kotzen: die letzte Kotztüte - Ausstellung und Dokumentarfilm


Storytelling outperfomes AI

Und dann will ich - zur Halbzeit der Cannes Lions 2024 - schon mal ein - für mich - versöhnliches Fazit ziehen: Storytellig ist key. 

Ich bin hier hergekommen mit einer düsteren Vorahnung. Im letzten Jahr war der AI-Hype so groß, dass ich Sorge hatte, ob man in diesem Jahr überhaupt noch über Stories und Narratives Marketing sprechen wird. Doch zu meiner größten Überraschung ist das Thema vitaler als eh und je. Der AI-Hype ist definitiv durch, alle bemühen sich, realistisch über AI zu sprechen und die großen Erwartungen (und auch Befürchtungen in Richtung Arbeitsmarkt) haben sich nicht erfüllt (klassischer Hype-Zyklus). Überall heißt es nur noch "AI ist ein Tool", "AI ist arbeitserleichterung", "AI ist great, aber ... kreativ geht anders". Und statt dessen: "Story is important", "You have to be a great storyteller", "It´s the story that breaks through". 

Das sagt auch Dara Treseder, CMO von Autodesk. Sie spricht aus, was viele denken: in der Zukunft werden alle die gleichen Algorithmen nutzen, die gleichen Optimierungsprogramme, die gleichen Prompts. Wie will man sich da noch abheben? Eben: durch die Story.

Treseder ist eine von vier Power-Frauen, die auf der LinkedIn-Bühne über die Rolle des CMO und Marketers in der Zukunft sprechen und wie sich diese Rolle durch AI verändert. Diese großartigen Frauen sind Treseder von Autodesk, Julia White, CMO von SAP, Yonca Dervisoglu, CMO von Google und Karin Kimbrough von LinkedIn. Und eines wird vor allem klar in der Diskussion: Die Zukunftige Rolle von Marketers - und auch von Kreativen - wird weniger die eines Creators, mehr die eines Kurators sein. Die Kunst die richtige Wahl zu treffen, die richtige Auswahl zu treffen, ist entscheidend (ach ja, und der Talk zeigte auch, dass es gut ist, eine Frau als CMO zu haben).

So it´s the story. Wie schön für mich als Storytelling Consultant.

Dazu passt dann auch die nächste Lektion - in der Alexander Schill von Serviceplan und Asif Kapadia, Regisseur von Amy (eine Dokumentation über Amy Winehouse, für die Kapadia einen Oscar gewann) darüber sprechen, was Marketingkommunikaton vom Film lernen kann.

Und an dieser Stelle muss ich mich entschuldigen - bei Lufthansa und Serviceplan. Auf dem Münchner Flughafen hatte ich mich zum Start der Lufthansa-Kampagne "Every Seat Has A Story" über ein Billboard lustig gemacht und gelästert, dass jetzt auch Möbel, wie Flugzeugsitze, Storytelling machen. Das war ziemlich vorschnell und dumm von mir. Denn ich hätte mir die Mühe machen sollen, und die Kampagne genauer ansehen. Denn dahinter steckt tatsächlich ein ganz großartiges Storytelling - selbstverständlich nicht über die Sitze, sondern die Menschen, die darauf sitzen. 
Fantastisch erzählt und unbedingt sehenswert - "Every Seat Has A Story".

Alexander Schill präsentiert seine Arbeit auf der Bühne der Cannes Lions 2024 dann eben auch sehr deutsch. Kurz, knapp, effizient, verbindlich - und für mich - als Deutsche - ganz wunderbar verbindend. Ach ja, it´s the culture, stupid.

Zum Schluss noch ein Storytelling-Winner von gestern abend. Siemens Healthiniers gewinnt den Grand Prix Winner in der Kategorie "Pharma" mit der Kampagne "Magnetic Stories". Unbedingt ansehen.

Übrigens: Ihr müsst das hier alles gar nicht lesen. Viel schneller sind die News von LionsDaily - einfach reinclicken. 




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