So viel geguckt wie nie: Kino, Film & Festivals in Zeiten von Corona


Wie macht Corona das? Schon wieder ist eine Woche vorbeigerast und ich weiß gar nicht, wo die Tage hingeflogen sind. Ende April hatte ich mir vorgenommen, den ganzen Mai über jede Woche einer anderen Kunstform zu widmen. Den Anfang machten Museen & Ausstellungen, dann kamen Musik & Konzerte dran, gefolgt von Theater & Performance Art. Diese Woche stand dann im Zeichen von Film & Festivals. Und was soll ich sagen: ich hab schon lange nicht mehr so viel in die Röhre geguckt, wie jetzt. Danke Corona.

Cameras down

Der Lockdown schickte Filmteams und Schauspieler ins Home Office. Schluss mit Filmaufnahmen und Außendrehs. Nur ganz langsam läuft jetzt die Produktion wieder an. Den Drehstopp werden wir wohl noch im Herbst und darüber hinaus spüren, denn den Fernsehsendern geht langsam der Stoff aus.

Eine kreative Lösung fand da die NBC-Serie „The Blacklist“. Das Finale der Staffel 7 konnte nicht mehr abgedreht werden, daher wurde Episode 22 einfach als Animationsfilm beendet. Die Fans waren begeistert.

Andere Produktionen müssen ebenso warten oder altes Material wird herausgekramt und wiederholt. Vielleicht auch ein Grund, warum es zum 50. Geburtstag des „Tatorts“ ein Publikumsvoting gibt, um die beliebtesten Krimis Deutschlands nochmals zu zeigen. Bis zum 14. Juni 2020 kann man abstimmen, welcher alte Fall im Sommer laufen soll.

Das Voting kann man sich eigentlich sparen, denn es ist ja wohl sonnenklar, dass das Münchner Tatort-Team nicht nur das dienstälteste, sondern auch das beste ist, oder? Unverständlich für mich ist, warum nur zwei Episoden aus München zur Auswahl stehen: Wenn Frauen Austern essen (immerhin eine großartige Episode, in der Carlo Menzinger dabei ist) und Der Wüstensohn.

Der, meiner Meinung nach, beste Münchner Tatort „Außer Gefecht“ – gedreht und gesendet in Echtzeit im Olympiaturm- steht leider nicht zur Wahl. Wie schade.

Rettet das Kino

Aber um das Fernsehen muss man sich eigentlich auch keine Sorgen machen. Die Quoten waren schon lange nicht mehr so hoch wie jetzt. Deutschland saß während der Quarantäne vor der Glotze. Und sogar Jugendliche sahen erstmals die Tagesschau und das heute journal. Das ist ja mal eine gute Nachricht.

Sorgen – große Sorgen – muss man sich allerdings ums Kino machen. Das war schon vor Corona in der Dauerkrise. Immer weniger Menschen wollen Filmgenuss mit Popcorn-Geruch in der Nase und dem Rascheln vom Nachbarn im Ohr. Aber mit dem Lockdown, vielmehr zwei Monate später, mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sieht es ganz schön düster aus. Schuld daran sind Aerosole. Der fiese Virus bleibt wohl stundenlang in der Luft geschlossener Räume hängen und sucht sich dann seine Opfer. Keine guten Nachrichten also für Kinos.

Und das heißt auch, dass wir noch länger warten müssen auf „Keine Zeit zu sterben“, den nächsten und letzten James Bond-Film mit Daniel Craig - der uns angeblich zum Weinen bringt. Der Kinostart soll nun wohl am 2. November 2020 sein. Hoffentlich.

In der Zwischenzeit versuchen Kinofans und auch Werbepartner die Kinos am Leben zu erhalten. Entweder durch den Kauf von Gutscheinen oder aber durch das Abspielen von Kino-Werbung im Internet. Wer sich über „hilfdeinemKino.de“ – einer App von Werbevermarkter Weischer Media – einloggt, kann sein Lieblingskino angeben, sich einige Werbespots ansehen, und seit neuestem auch einen Film – das Geld dafür wird dann dem Kino ausgezahlt. Eine schöne Idee, aber leider nur ein kleines Trostpflaster.

Ansonsten heißt es: rein ins Netz, auch für die Kinos. So macht es jedenfalls das Filmmuseum München, das ein ausgewähltes Programm online via vimeo zur Verfügung stellt. Kostenlos! Das ist besser als nichts und vielleicht entdeckt damit der eine oder andere das Filmmuseum neu.

Der große Gewinner

Streaming ist der große Gewinner der Corona-Krise – und natürlich auch bei uns zuhause. Glaubt man Verschwörungsmystikern, dann hat Disney+ bei Corona irgendwie seine Hände im Spiel. Der Streamingdienst ging am 24. März 2020 in Deutschland an den Start, genau in der Woche, als wir es uns zu Hause gemütlich machen mussten und Klopapier hamsterten.

Freitags war ab da „Mandalorian“-Tag. Die Serie um den Mandalorian-Krieger, der ein kleines Baby beschützt, das dem jungen Yoda verdächtig ähnlich sieht, ist ein Spin-off des Star Wars-Universums. Und genau das Richtige für Kinder und kindgebliebene Erwachsene. Herrlicher Zeitvertreib und im Oktober kommt dann wohl Staffel 2 … bis dahin zahlen wir selbstverständlich weiter, oder?

Für die Erwachsenen und „Möchtegern-Intellektuellen“ SciFi-Fans hatte amazon prime den richtigen Riecher. Schon im Januar startete „Picard“, die Spin-off-Serie um den legendären Raumschiffkapitän Jean Luc Picard vom Raumschiff Enterprise der zweiten Generation. Trekkies waren begeistert, ihren „All-Time-Hero“ Patrick Steward wieder zu sehen. Und der 79jährige Shakespeare-Darsteller enttäuschte seine Fans nicht. Die letzte Staffel wurde am 27. März 2020 zur Verfügung gestellt – dann ging Deutschland endgültig in den Lockdown. Die Finanzierung für Staffel 2 steht wohl. Ob es aber weitere Episoden schon 2020 zu sehen geben wird ist fraglich. Aber egal, wir zahlen amazon prime auch so einfach weiter.

Und Netflix? Auch die gewinnen Abonnement um Abonnement dazu und wenn man sich mit Freunden unterhält, ist das nur frustrierend, denn all die Empfehlungen kann man unmöglich ansehen. Ich hab komplett den Überblick verloren, welche Serien wir schon angefangen haben.

An zwei Serien kam man aber auf keine Fall in den letzten Wochen vorbei: „Tiger King“ oder wie die Serie auf Deutsch heißt „Großkatzen und ihre Raubtiere“. Wenn sich sogar Robbie Williams in Tigerprint-Unterhose und Cowboyhut auf Instagram zeigt, als Hommage an diese Netflix-Serie, dann muss das ja wohl irgendwie gut sein. Ist es auch – und auch nicht. Denn die zehnteilige Dokuserie über einen narzisstischen Selbstdarsteller, der sich einen Privatzoo hält und mit Waffen rumfuchtelt, ist eigentlich nur eines: „White Trash“. Oder eben „Die Ludolfs“ auf Amerikanisch. (übrigens haben die Ludolf-Brüder sich nach einem langen Rechtsstreit wieder zusammengerauft. Es geht also weiter).

Die zweite Serie hat auch ihren Helden und ist auch gut fürs Merchandising. In „The Last Dance“ werden Karriere, Ups und Downs des besten Basketballspielers aller Zeiten, Michael Jordan, nacherzählt und dokumentiert. Die Serie ist ein Netflix-Original, wird von ESPN produziert und vertreibt allen Sportfans, die jetzt auf so viel verzichten müssen, die Zeit mit herrlichen Bildern aus der Vergangenheit. Spannend mit Rückblicken und Vorblenden erzählt. Vor allem aber produziert, um die Geldmaschine am Laufen zu halten. Der Rubel muss rollen, auch wenn die Liga derzeit Pause macht. So wurden die Nike-Schuhe, die MJ zu Beginn seiner Karriere trug und die er auch in seinem letzten Spiel anhatte (wie wir aus der Serie wissen), Mitte Mai für über eine halbe Million Dollar versteigert. Die teuersten Schuhe aller Zeiten.

Puppen tanzen lassen

Aber zurück nach Deutschland. Denn auch hier steht nicht alles in der Filmbranche still. Ganz im Gegenteil. Wenn schon die Schauspieler im Home Office sind, so kommen jetzt andere Hauptdarsteller zum Zug: Handpuppen. Ja, die Muppets lassen grüßen.

Herrlich anzusehen auf YouTube ist zum Beispiel „Wiwaldi und CoRona“- ein Hund und die ganze Viecherei, hinter der Puppenspieler Martin Reinl steckt, der täglich aktuelles Corona-Geschehen mit viel Spaß, Charme und holprigen Witzen kommentiert.

Und auch die „Soko Corona“ macht sich über Corona lustig. Die Macher dahinter kennt man von „Quer“, die dort schon Ilse Aigner und Markus Söder als Puppen tanzen ließen. In „Soko Corona“ geht ein Mix aus Puppen und echten Schauspielern auf Verbrecherjagd in München – trotz Virus. Wenn „der Wolpert“ und der „Leberkäs Bob“ ermitteln, ist das Ganze allein schon wegen des Dialekts nett anzuhören und anzusehen.

Echtzeit TV

Aber auch sonst sitzen Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler nicht untätig daheim rum. Im Gegenteil. Manche sind sogar sehr kreativ und schaffen neue Formate, die trotz und gerade wegen Ausgangssperre, Home Office und Videostream funktionieren. Einige Produktionen sind sogar so gut, dass Suchtgefahr droht - mit Binge-Watching-Potenzial. „Drinnen“ ist so ein Beispiel. Ich musste alle 15 Folgen fast in einem Rutsch durchsehen. Auch wenn jede Folge nur circa acht Minuten dauert, so hängt man dann doch ganz schön lang – aber extrem amüsiert – am Laptop, wenn Hauptdarstellerin Lavinia Wilson als junge Mutter und Werbefrau Charlotte Thielemann genervt ist - von ihrer Familie, ihrem Job, ihrem Leben. Und versucht irgendwas auf die Reihe zu bekommen, um dann in einem aufblasbaren Zorb durch die Wohnung zu kullern. Witzig umgesetzt mit kleinen Mitteln inszeniert – und doch auch noch mit moralischer Aussage, die zum Nachdenken anregt.

Wer Gefallen gefunden hat an Serien, die mit Videostream und Zoom spielen, die also in Echtzeit spielen und all das aufgreifen, was wir während des Lockdowns tagtäglich selbst erleben, dem sei „Join Meeting“ empfohlen. AdAge schreibt dazu treffend „The Office meets Zoom“. Wer also „Stromberg“ auf modern sehen will, der sollte hier unbedingt reinklicken. Fremdschämen ist garantiert oder aber auch nur Erfahrungsabgleich – denn wir haben in den unzähligen Zoom-, Skype-, Microsoft Teams-Meetings all das irgendwie genau so auch schon erlebt.

Wem das alles zu düster und zu nah an der Wirklichkeit ist, der klickt dann besser rüber zu John Krasinski. Der Schauspieler, Filmproduzent und Regisseur hat auf seinem neuen YouTube-Kanal „Some Good News“ in kürzester Zeit drei Millionen Abonnenten eingesammelt und bringt jetzt regelmäßig „gute Nachrichten“. Dafür holt er sich alle möglichen berühmten Menschen vor die Linse. Auch hier mit kleinen Mitteln, spontan und sympathisch inszeniert.

Der heimliche Gewinner: IGTV

YouTube ist also auch ein Gewinner der Corona-Krise, denn es wird upgeloaded und downgeloaded, was das Zeug hält. Aber das hätte man sich ja denken können. Überraschender ist da schon der heimliche Sieger dieses ganzen Shutdowns: Instagram. Besser gesagt das Videoformat von Instagram, nämlich IGTV. Da brummt es seit kurzem. Ach was, es platzt aus allen Nähten.

Promis geben „kontaktlos“ Interviews und machen sogar selbst Programm, wie etwa Conchita Wurst auf ihrem Channel „FIVE@FIVE“.

Noch spannender sind aber die spontanen, kreativen Filmformate, die dort jetzt entstehen – alles vertikal, im Hochformat, natürlich. Wie zum Beispiel „Curfew Calls“, eine Instagram-Sitcom, die echt Spaß macht. Oder „V-Dates“, auch auf Instagram, wo man Singles bei ihren „Video Dates“ beobachten kann. Eine witzige Comedy-Webserie – umgesetzt von Machern aus dem Umfeld der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF).

Laptop statt Leinwand

Aufs kleine Format umsteigen müssen leider auch die vielen Festivals, die in den letzten Wochen stattfinden sollten und dann auch stattfanden – im Netz. Ganz hervorragend geglückt ist das dem Dok.fest. Das wurde zum „Festival@Home“ - Bravo – eine tolle Eröffnungsschau. Fand zwar im Deutschen Theater statt, aber ohne Publikum. Dafür mit gutem Talk. Und dann gab es Zugang zu so vielen Filmen, für so viele Leute. Ich glaube erstmals haben Dokumentarfilme ein ganz neues Publikum erreicht. Mein Lieblingsfilm: „Tonsüchtig“ – eine Doku über die Wiener Philharmoniker.

Oder das Internationale Kurzfilmfestival in Oberhausen, über das Philipp Stadelmaier in der Süddeutschen schreibt: „Dem Festival-Patienten geht es gar nicht so schlecht. Die Onlineausgabe versorgt nicht nur jene, die jedes Jahr treu nach Oberhausen pilgern, sondern bietet auch die Chance, ein größeres Publikum für Experimentalfilmkunst zu begeistern. Die Filmemacher wirken in den voraufgezeichneten Gesprächen näher als sonst, auf einer Ebene mit dem Zuschauer: Ein Filmemacher hat während des Gesprächs seine kleine Tochter auf dem Arm. Und wenn der Kurator aus Lissabon eine - großartige - Reihe portugiesischer Kurzfilme vorstellt, kann man einfach zurückscrollen, wenn man etwas nicht verstanden hat.“

Was Film in Zukunft aber wirklich zu bieten hat, das zeigte Katy Perry im Final von „American Idol“ am 17. Mai 2020. Die Popkünstlerin präsentierte den Song „Daisies“ aus ihrem neuen Album – in einer voll animierten Show, die virtuelle Realität mit dem Studio verschmelzen ließ und damit für TV-Sendungen neue, kreative Möglichkeiten aufzeigte – die gerade in Zeiten von Social Distancing super gut funktionieren werden. Man kann gespannt sein, was da noch so kommt.

Festivals gehen ins Netz

Während die Film-Festivals sich ganz tapfer im Netz schlugen, taten sich andere Festivals und Konferenzen schwerer. Eine der ersten großen Veranstaltungen, die ausprobierte, was statt Bühne, Meetingpoints und Workshop geht, war „Bits und Prezels“. Die Start Up-Konferenz erreichte in ihrer ersten Online-Ausgabe des „Founders Breakfast“ ein riesiges Publikum, war aber in Moderation und Einspielung von Gästen noch etwas holprig. Aber immerhin: die Technik funktionierte und wir lernen ja täglich dazu.

Weniger begeistert war ich dagegen von der „re:publica“, die ja dieses Jahr auch komplett online ablief. Hier haperte es an der Technik, teilweise war die Webseite nicht erreichbar und vor allem das Design im Hintergrund nervte. Ganz abgesehen von der weniger guten Moderation – ohne Publikum ist es halt schwer. Besser machten es da die Kollegen von der Media Convention, die parallel stattfand. Während die re:publica-Leute witzelten, dass man dank Corona als Internet-Profi jetzt eben TV mache, machten die Kollegen bei der Media Convention tatsächlich TV und gingen mit der ungewohnten Situation souverän um. Hier kann man eben Fernsehen.

Ach ja, und dann war ich auch noch auf dem Forward Festival. Also online. Die Designer treffen sich ja jährlich zu einem wunderbaren Festival in München und in Wien. Dieses Jahr eben virtuell. Die Webseite steckt voller Augenschmaus und Inspiration - und einem ganz besonderen Highlight: einer Augmented Reality App von Olafur Eliasson. Absolutes Must-have!

Autokino

Und weil es gar nicht ohne Kino geht, kommt jetzt endlich ein kleines Trostpflaster. Überall in ganz Deutschland poppen Autokinos auf. So auch in München. Und daher war ich diese Woche dann doch endlich wieder mal im Kino.

Gar nicht so schlecht, unsere Autositze. Und es gab tatsächlich ein bisschen Kino-Atmosphäre. Der Sound kommt aus dem Autoradio –auch wenn man im BMW alle fünfzehn Minuten das Radio wieder einschalten muss, weil der Wagen denkt, man sei wohl eingeschlafen. Zu sehen gab es 25km/h mit Bjarne Mädel und Lars Eidinger.




Ein herrlicher Abend – der beweist, was Philipp Stadelmaier in der SZ so treffend formulierte:

„Mehr braucht man nicht, um zu erkennen, dass Filme gerade in Zeiten von Isolation und Quarantäne wie Strände sein können, an denen Menschen zusammenkommen:“
Fast wehmütig breche ich nun auf in meine letzte Woche dieses „CreativeCoronaMay“. Eine Woche lang geht es um Literatur und Buchkunst. Die Buchläden haben ja längst schon wieder offen. Das kann ja nur gut gehen. Bis nächste Woche.

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