Taschentücher raus! Wenn Storytelling emotional wird
»Make me care. Please – emotionally, intellectually – just make me care.« – Andrew Stanton
Mitdenken allein reicht nicht aus für einen guten Vortrag, mitfühlen ist die Devise. Empathie garantiert höchste Aufmerksamkeit und Motivation sowie die Verankerung des Gesagten im Langzeitgedächtnis. Empathie ist die Fähigkeit, die Empfindungen und Emotionen anderer Menschen wahrzunehmen, zu verstehen und zu spiegeln. Dabei spielt die eigene Selbstwahrnehmung eine große Rolle. Je offener eine Person ist und ihre eigenen Emotionen anerkennt, umso einfacher kann sie die Gefühle anderer deuten.
Grundsätzlich ist jeder Mensch zu Empathie fähig – dies zeichnet uns als soziale Wesen aus. Und in dieser Funktion spielt Storytelling eine ganz herausragende Rolle, denn Geschichten führen uns nicht nur Ereignisse vor Augen, sondern ganz besonders Gefühle und Emotionen, die wir mit der Hauptfigur miterleben.
Um im Storytelling bewusst auf Empathie zu setzen, lohnt es sich, die Auslöser empathischen Verhaltens zu kennen. Drei Mechanismen sind für das Geschichtenerzählen in Rede und Präsentation besonders interessant:
- Schlüsselreize: Einige Reize, die emotionale Regungen auslösen, sind uns bereits in die Wiege gelegt – so zum Beispiel Schlüsselreize, die Flucht- oder Hinwendungsverhalten auslösen. Überraschend laute Geräusche schockieren und lassen uns zusammenzucken, schnelle, übergroße Objekte, die direkt auf uns zurasen, lassen uns zurückweichen. Dagegen wenden wir uns niedlichen Kinderaugen oder süße Hundewelpen zu. Auf das angeborene Kindchenschema ist emotional Verlass. Prüfen Sie, ob sich Schlüsselreize in Ihrer Präsentation – in Wort oder Bild – einsetzen lassen.
- Spiegelneuronen: Gähnen ist sicher das bekannteste Phänomen, wenn es um die Demonstration der Wirkungsweise von Spiegelneuronen geht. Wenn wir jemanden gähnen sehen, können wir nur schwer widerstehen, um nicht selbst auch zu gähnen. Aber auch Lachen ist ansteckend, und wenn wir Menschen zuhören, die zu Tränen gerührt von einem Ereignis erzählen, müssen wir oft mitweinen. Eine bestimmte Kategorie an Nervenzellen ist dafür verantwortlich, dass wir beim Betrachten eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster abrufen und selbst auch ausführen. 1992 wurden Spiegelneuronen erstmals beschrieben, und sie sind bis heute heiß diskutiert. Doch so wissenschaftlich genau müssen Sie es für Ihren nächsten Vortrag gar nicht wissen. Entscheidend ist, dass Sie auf der Bühne ein Verhalten zeigen, dass Sie unter Umständen auch von Ihrem Publikum erwarten. Optimismus auf der Bühne löst Optimismus im Publikum aus – aber nur wenn er hör-, seh- und spürbar ist.
- Skripte: Als Skripte bezeichnet man gelernte und vertraute Handlungsmuster. Wenn Sie zum Beispiel eine Gruppe gut gekleideter Damen und Herren auf einer Baustelle sehen, die vor einem roten Band stehen, erwarten Sie, dass diese das rote Band durchschneiden als Symbol für die Eröffnung eines Gebäudes. Dieser Handlungsablauf ist gelernt und erwartbar. Und auch die damit verbundenen Gefühle sind verinnerlicht und abrufbar. Freude über den neuen Firmensitz, das endlich vollbrachte Werk, die abgeschlossene Arbeit verbinden sich mit dem Skript der Eröffnungszeremonie. Auch hier sollten Sie überprüfen, ob Sie in Ihrer Geschichte auf einen Erfahrungsspeicher zurückgreifen können, der ein Gefühl transportiert, ohne dass Sie dieses explizit ansprechen müssen. Welches Momentum können Sie nutzen, damit die Taschentücher vor Rührung gezückt werden oder Stolz aufbrandet?
Skripte sind die Büchse der Pandora der Stand-up-Comedy.
Ist ein Satz einmal angefangen – bringt ihn das Publikum unweigerlich im Geist selbst zu Ende. Der Comedian hat seine Pointe gesetzt. Sabine Asgodom beherrscht diese Büchse so gut wie kaum ein anderer Sprecher - ihre schärfste Waffe ist der Satz: »Wissen Sie, was passiert, wenn ...«
Asgodom ist Journalistin, Autorin und Management-Trainerin. Und sie hat ihr Lebensthema gefunden: Erfolg. Gerne spricht sie über die Suche nach Bestätigung und Erfolg und wo beides zu finden ist. Noch lieber spricht sie aber über Misserfolg, denn Menschen lernen aus Fehlern, und gerne nimmt sie dabei ihre eigenen Fehler ins Visier. Mit einer großen Prise Selbstironie und Humor. So auch in ihrem Vortrag »3 Schritte zum Erfolg« 2014 in Köln: »Kennen Sie das Gefühl, wenn Ihnen so dicke Tropfen (Schweiß) hinten an den Haaren runterperlen? Und dann so den Rücken runterlaufen?«
Schon sind wir mittendrin in Asgodoms Geschichte über ihren ersten Talkshow-Auftritt in einem »affenheißen Studio«. Ein Auftritt, der sie, nach ihren eigenen Angaben, reich und berühmt machen sollte.
Beides wird – Sie ahnen es sicher – nicht in Erfüllung gehen, vielmehr wird das Fernsehinterview zum Desaster. Um aber ihr Thema – „drei Schritte zum Erfolg“ – einzuleiten, nimmt Asgodom ihr Publikum zunächst mit in einen Tag ihres Lebens, an dem alles schiefläuft, was schieflaufen kann, und sich ein Missgeschick an das andere reiht. Beginnend mit dem sündhaft teuren schilfgrünen Seidenkleid, das sie sich extra für den Fernsehauftritt gekauft hatte. Doch in der Hitze des Fernsehstudios … »Wissen Sie, was schilfgrüne Seide macht, wenn Sie schwitzen?« – Noch vor dem Interview zeichnen sich riesige, schwarze Schweißflecken unter ihren Achseln und entlang ihres Rückens ab. Und Asgodom lässt nicht locker. In ihrer Story vor großem Publikum reiht sie eine Peinlichkeit an die andere und breitet minutiös die misslichen Momente ihres fatalen TV-Auftritts aus.
Bis zu dem Moment, als ihr das Mikrofon vor die Nase gehalten wird: »Kennen Sie das? Wenn da (Gehirn) nix drin ist, kann da (Mund) nix rauskommen. Mehr als ein Grunzen war bei mir nicht zu holen. Der Moderator versuchte mir zwar noch zu helfen, gab aber nach zwei Fragen auf. Die Sendung war ja eine Talkshow und kein Grunzwettbewerb. « Noch bevor Asgodom zu ihrem Hauptthema kommt, wischt sich das Publikum Lachtränen aus den Augen.
Mit Humor bereitet sie ein durchaus ernstes Thema vor, den Kampf um Erfolg, und nimmt dem Stoff seine Schwere. Aus den Peinlichkeiten ihres eigenen Lebens leitet sie schließlich Erfahrungen wie »Du musst dich besser vorbereiten«, »Du kriegst immer eine zweite Chance, und eine dritte und eine vierte« und »Erfolg hat einen Preis« – Ratschläge, die das gut unterhaltene Publikum dankend annimmt.
Freude – und auch die verschämte Schwester dieses Gefühls, die Schadenfreude – sind ausgezeichnete Begleiter der Geschichtenerzähler. Denn Humor versetzt das Publikum nicht nur in eine gute Stimmung, die sich auf Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit positiv auswirkt, ein humorvolles Auftreten – wenn es denn gut gemacht ist – steigert auch die Sympathiewerte des Sprechers. Also: Taschentücher raus und bringen Sie Ihre Publikum zum Weinen – aus Freude oder aus Empathie.
Mehr zum Thema Storytelling in Rede, Vortrag und Präsentation erfahren Sie in dem Buch, aus dem dieser Text stammt: What´s your Story? Leadership Storytelling für Führungskräfte, Projektverantwortliche und alle, die etwas bewegen wollen, O´Reilly, 2019. Oder besuchen Sie einen meiner Vorträge oder Webinare. Alle Termine und Infos unter: www.petrasammer.com/about-petra-sammer/upcoming-events/
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