Die meistgestellten Fragen 2024
Das Jahresende ruft also nach einer Rückschau, oder? So will auch ich ein kleines Ranking als Rausschmeißer für das Jahr 2024 präsentieren. pssst… die im Jahr 2024 in Workshops, Seminaren und Vorträgen mir meist gestellten Fragen. Fragen, die ich hier endgültig und aufrichtig beantworten möchte.
Was wurde ich 2024 am meisten gefragt? Platz 1: Wird Storytelling von KI übernommen?
Ja und nein (Sorry, das ist keine befriedigende Antwort, aber woher soll man heute schon wissen, was KI morgen anstellen wird?). Studien zeigen jedenfalls erste Effekte – Effekte auf die Kommunikation und auch auf das Storytelling: die individuelle Kreativität nimmt nämlich zu. Ja, jeder und jede Einzelne von uns wird dank KI kreativer. Aufbau und Struktur von Geschichte, Rollenbeschreibungen und Erzählwelten – dies alles folgt bestimmten Mustern (man denke nur an Joseph Campbells „Heldenreise“ oder die „Basic Plots“ von Christopher Booker). Und mit Mustern kennt sich die KI bestens aus. Besser als wir Menschen. Auch ist die Maschine gar nicht schlecht darin, Emotionen zu simulieren und die Ingredienzien zu bestimmen, damit eine Story empathisch packt. So setzten Storyteller bereits massiv auf KI, lassen sich Anfangssequenzen zu Storys vorschlagen, suchen Handlungstwists oder fragen um Rat für einen ungewöhnlichen Cliffhanger am Ende.Der kreative Boost für den Einzelnen hat allerdings auch eine Schattenseite. Denn währen die individuelle Kreativität danke KI steigt, nimmt die kollektive Kreativität leider ab. Zu sehen ist dies anhand erster Studien, aber auch dank zahlreiche Experimente und Erfahrungen in Medienseminaren und in Kreativklassen. Einzelne Studierende erzielen mit Hilfe der KI überdurchschnittliche Ergebnisse. Überblickt man jedoch alle Ideen und Plotvorschläge, die eine gesamte Klasse mit Hilfe von KI erstellt, so ähneln sich viele Stories. Muster treten offen zu tage. Plots sind vorhersehbar. Kein Wunder, die KI kann eben nur verarbeiten, was man füttert. Und dieser digitale Erfahrungsschatz steht allen gleich zur Verfügung.
Genau darin sehe ich einen Hoffnungsschimmer - für Storyteller und deren Jobs. Die KI kann einen kreativen Schubs gebe, einen ganz schön massiven. Aber die Auswahl, das Entscheiden und Kuratieren – die wichtigsten Aufgaben eines Storytellers - die kann eine KI nicht übernehmen (wie man aktuell an den heftig debattierten „AI generated Stories“ von Coca-Cola und Vodafone sehen kann. Beides sind faszinierende Beispiele für die Gestaltungspower von KI. Beides sind damit aber keine guten Stories).
Was wurde ich 2024 am meisten gefragt? Auf Platz 2: Wie manipulativ ist Storytelling?
Ein Dauerbrenner unter den Fragen. „Manipulation“ bedeutet Einflussnahme auf den Willen von Menschen ohne oder sogar gegen deren Willen. Soweit würde ich bei Corporate- oder Brand-Storytelling nicht gehen, denn die meisten Kunden und Kundinnen sind so mündig, dass sie den Sinn und Zweck von Werbung und Unternehmenskommunikation verstehen. Und im schlimmsten Fall können sie ja sogar wegclicken, oder?Hinter der Frage steckt eigentlich aber eine andere: nämlich die der Irreführung. Storytelling ist das „Trojanische Pferd“ unter den Werbetechniken. Storyteller locken Kunden und Kundinnen in eine illustre Erzählwelt, präsentieren interessante Protagonisten, mit denen sich das Publikum identifizieren kann und verwickeln in emotionale Handlungen, ehe man auf das eigentliche Produkt oder Unternehmen und Anliegen zu sprechen kommt. Ja, das ist trickreich. Ja, das ist eine ablenkende Verpackung. Und ja, das kann man unter Umständen auch als „manipulativ“ definieren. Aber ist das Werbung und PR dann nicht immer?
Und eigentlich steckt hinter der Frage noch eine andere. Noch eine „unverschämtere“. Nämlich die Frage: Wie halten es Storyteller mit der Wahrheit?
Darauf habe ich eine klare, vielleicht überraschende Antwort: Storyteller brauchen die Wahrheit nicht. Klingt brutal. Ist aber so. Fragen Sie J.K. Rowling oder George Lucas, die größten Storyteller des 20. Jahrhunderts. Geschichten sind neutral. Sie können fiktiv sein oder real. Und auch Unternehmen und Marken stehen beide Optionen zur Verfügung.
Entscheidend ist jedoch, dass es für Rezipienten erkennbar sein muss, welcher Art Story sie vor sich haben. Und an dieser Stelle kommen wir zu einer der wohl größten Herausforderungen und Bedrohungen im 21. Jahrhundert (selbstverständlich nach Erderwärmung und Artensterben): die zunehmende Verschmelzung von Fiktion und Realität. Mehr und mehr sind wir von Inhalten und Informationen umgeben, in denen wir nicht mehr klar unterscheiden können zwischen Realität oder Fiktion.
Drei Treiber sind für diese bedrohliche Entwicklung verantwortlich:
- Wir können unseren Augen nicht mehr trauen. Kein Bild, kein Video bildet mehr die Realität ab (Nahezu jedes Foto oder Video wird automatisch von unserem Smartphone durch KI-Technologie optimiert). Das ist wichtig zu wissen, denn visuelle Inhalte sind die attraktivste Ware im Internet. Gefragt sind dabei nicht Bilder, die einfach nur abbilden. Es muss schon „narratives Material“ sein, also Bilder und Videos, das eine (spannende) Geschichte offenbaren und wir können nicht mehr erkennen, ob diese wahr oder falsch sind (Nein, es wurde kein Eisbärbaby von einer schmelzenden Eisscholle gerettet: viel zu viele sind auf die täuschend echte Fake Story auf LinkedIn hereingefallen).
- Die Lüge wird salonfähig. Das achte Gebot wird schon lange nicht mehr geachtet. Die kommunikativen Sitten werden rauer. Nicht der Wahrhaftige setzt sich durch, sondern der Lauteste und der mit der schrillsten Story. Dies gilt in der Politik, setzt sich aber auch mehr und mehr in Gesellschaftspolitik und Wirtschaft. Eine Herausforderung für die PR. Wie stark muss man „erzählen“ und so auch die Realität verschieben, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
- Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch Fakten, sondern durch Erzähllogik und Wiederholung. Eine Geschichte, die in sich logisch klingt, wirkt glaubwürdiger, als Fakten, die der eigenen Meinung nicht entsprechen. Und je öfter man die Story wiederholt, umso mehr verfestigt sie sich. Storytelling wird zu Waffe in einer kommunikativen Welt, der es egal ist, ob man wahr oder fiktiv erzählt. Willkommen in der postfaktischen Welt, in der die Storyteller übernehmen.
Was wurde ich 2024 am meisten gefragt? Auf Platz 3: Wird sich Storytelling abnutzen?
Seit 15 Jahren konzentriere ich mich auf das Thema: Storytelling in der Unternehmenskommunikation und im Marketing. Und seit 15 Jahren kommt die Frage: „Wenn alle Storytelling machen, sehen wir uns dann an diesen Geschichten nicht satt?“. Meine Antwort dazu war immer wieder mit voller Überzeugung: „Auf keinen Fall. Die Menschheit erzählt sich seit 40.000 Jahren Geschichten. Warum sollten gerade wir jetzt den Hunger danach verlieren?“So war mein Antwort. Immer wieder. Bis 2024. Da sah ich kurz vor Weihnachten den Spot von Obi „DIY vom Herzen“. Abgesehen, dass ich mit dem „vom“ im Titel irgendwie grammatikalisch ein Problem habe, hat die Geschichte alles, was eine gute Story braucht. Einen Spannungsbogen mit mehreren Höhepunkten, Protagonisten, in die man sich einfühlen kann und ein emotional hoch aufgeladenes Thema. Aber Moment mal: kommt einem die Trauerstimmung nicht irgendwie bekannt vor aus Heimkommen von Edeka aus dem Jahr 2015. Und ist nicht sogar die Farbgebung des Films ähnlich? Ist die Auflösung am Schluss, wenn Mama die Augenbinde abnimmt und … (ich will jetzt hier nicht spoilern) … ist das alles nicht ein bisschen überdramatisiert und konstruiert?
Vielleicht haben wir uns doch schon abgesehen an rührseligen, vorhersehbaren und sich gleichenden „Weihnachtsgeschichten“ (zumindest ich habe das).
Ach was, es ist Weihnachten. Da sollte man weniger kritisch sein. Zum Schluss aber doch noch eine Bitte: bitte keine Mitarbeitervideos mehr, die beginnen mit „Mein Name ist xyz. Ich bin siet xyz Jahren xyz in der Abteilung xyz bei der Firma xyz“ – von diesen Stories gibt es nun wirklich, wirklich viel zu viele. Und die kann die KI kann alleine produzieren.
Statt dessen brauchen wir 2025 und darüber hinaus Geschichten, die beweisen, dass sie von Menschen gemacht wurden und vor allem, dass sie für Menschen(und nicht für Algorithmen) gemacht wurden.
Was werde ich immer gefragt: Was ist Ihre Lieblingsstory?
Auch diese Frage ist nicht überraschend. Wenn man ständig von Corporate- und Brand-Storytelling schwärmt, wird man selbstverständlich nach seinem Favoriten gefragt. Doch die Antwort ist schwer, denn es gibt so viele gute Stories, die man hervorheben möchte. Einfacher ist da die Frage nach meinem Lieblingsfilm: Birdy – ein Antikriegsfilm aus dem Jahr 1984 mit Matthew Modine und Nicholas Cage in den Hauptrollen, nach der Regie von Alan Parker (Diese Antwort ist für viele Fragensteller allerdings oft enttäuschend, weil sie den Film nicht kennen. Daher meine Empfehlung: unbedingt ansehen).Aber zurück zur Lieblingsstory. Was ist mein Favorit in punkto Corporate- oder Markenstory? Ich will es mir einfach machen, nennen nicht die „ultimativ beste Story“, sondern schaue nur auf das letzte Jahr. Und da ist sticht eine Geschichte ganz besonders heraus: „The Observers“ – ein Story der Outdoormarke Patagonia. Der Film steht aus vielerlei Gründen an erster Stelle meines Rankings: einerseits ist die 24minütige Dokumentation ein Beweis, dass nicht jede Story schneller Content sein muss. Die Geschichte nimmt sich Zeit, damit die Zuschauer ein Ehepaar kennenlernen, das seit 36 Jahren tagtäglich den Himmel beobachtet. Karin and Lennart zählen zu den wenigen und letzten Wetterbeobachtern in Schweden. Natürlich geht es in dem Film um Klimawandel und Umweltschutz – die Geschichte wird ganz im Sinne der Markenbotschaft von Patagonia erzählt („We're in business to save our home planet“). Doch gleichzeitig ist es ein ganz wunderbares Dokument über zwei Menschen, die einander tief verstehen, die nach so vielen Jahren immer noch den gleichen Humor teilen und die auch im Alter so verliebt ineinander sind, wie am ersten Tag. Es ist eine berührende Story, die gar nicht hochemotionale erzählt wird. Ein wunderbarer Beispiel dafür, wie einfühlsam gute Storyteller sein können und dass es gar nicht viel braucht, um eine wirklich gute Geschichte zu erzählen.
Sie sind immer noch da?
Dann sollten Sie eines wissen: Diesen Text hat keine Maschine geschrieben. Daher ist er auch nicht prägnant, optimiert und kurz. Wer mich kennt, weiß, dass ich zu langen Antworten neige (an dieser Stelle meine aufrichtige Entschuldigung an alle Podcaster, Interviewer und Moderatoren, deren Geduld ich 2024 überstrapaziert habe).
Wenn Sie bis hierher gelesen haben, freue ich mich sehr, denn auch Sie haben Geduld und Durchhaltevermögen bewiesen. Zwei Fähigkeiten, die wir alle 2025 brauchen werden. Das nächste Jahr wird ein wilder Ritt werden. Ich wünsche Ihnen daher gemütliche und vergnügliche Weihnachtsfeiertag, an denen Sie die Batterien aufladen können. Und alles Beste – sowie Nerven aus Stahl – für das neue Jahr, in dem wir uns hoffentlich auf die eine oder andere Weise sehen. Denn das ist es, was uns Menschen ausmacht. Wir begegnen einander und lernen aus diesen Begegnungen. Daraus entstehen meist die besten Stories.
Frohe Weihnachten und alles Gute für 2025, Ihre Petra Sammer
Wenn Sie bis hierher gelesen haben, freue ich mich sehr, denn auch Sie haben Geduld und Durchhaltevermögen bewiesen. Zwei Fähigkeiten, die wir alle 2025 brauchen werden. Das nächste Jahr wird ein wilder Ritt werden. Ich wünsche Ihnen daher gemütliche und vergnügliche Weihnachtsfeiertag, an denen Sie die Batterien aufladen können. Und alles Beste – sowie Nerven aus Stahl – für das neue Jahr, in dem wir uns hoffentlich auf die eine oder andere Weise sehen. Denn das ist es, was uns Menschen ausmacht. Wir begegnen einander und lernen aus diesen Begegnungen. Daraus entstehen meist die besten Stories.
Frohe Weihnachten und alles Gute für 2025, Ihre Petra Sammer