Bitte, überfordern Sie Ihr Publikum nicht
Versuchen Sie nicht, Ihrem Publikum alles, wirklich alles, mitzuteilen, was Sie selbst wissen. Die schiere Quantität an Informationen macht Ihre Botschaft nicht besser. Im Gegenteil mit zu vielen Informationen überfordern Sie Ihr Publikum. Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität.
Und damit lautet der Auftrag an Sie als Redner und Storyteller, zunächst eine gemeinsame Basis für Ihr Thema mit Ihrem Publikum zu finden und diese Basis dann zu erweitern. Suchen Sie nach der Schnittmenge zwischen Ihrem Wissen und dem des Publikums und vergrößern Sie diese gemeinsam.
Aber hüten Sie sich vor dem Anspruch, diese Schnittmenge komplett zur Deckung bringen zu wollen. Halten Sie sich vor Augen, wie lange Sie zur Erarbeitung Ihres Vortrags, Ihrer Präsentation benötigt haben. Wie lange es gedauert hat, bis Sie alle Informationen und Belege recherchiert und zusammengetragen haben. Erinnern Sie sich daran, wie lange Sie sich mit dem Thema Ihrer Präsentation insgesamt schon beschäftigen und welche Erfahrung Sie aufgrund Ihrer Ausbildung und Ihrer Karriere hierfür einbringen. In Ihrer Präsentation stecken unter Umständen Erkenntnisse, die Sie sich in Jahren oder gar Jahrzehnten angeeignet haben. Sie können nicht erwarten, dass Ihr Publikum all das in den dreißig oder sechzig Minuten Ihrer Redezeit nachholt.
»If a story is not about the hearer he will not listen. And here I make a rule – a great and interesting story is about everyone or it will not last.« – John Steinbeck
Ohne eine Unterschrift zu setzen, gehen Sie einen ganz persönlichen Vertrag mit Ihrem Publikum ein – genau in dem Moment, in dem Sie aufstehen, das Mikrofon in die Hand nehmen und die Bühne betreten.
Der Pakt zwischen Storyteller und Publikum
Geschichtenerzähler gehen mit ihrem Publikum einen Pakt ein. Ein Pakt, der ein großes Versprechen enthält – das Versprechen, dass sich die Zeit, die die Zuhörer investieren, auszahlen wird. Und Zeit ist eine kostbare Ressource. Ihre Geschichte muss dem Publikum einen Mehrwert bieten. Und dieser Wert muss mehr sein als nur die Tatsache, dass Sie sich als Redner vor Ihrem Publikum mit brillantem Wissen profilieren.
Schlimmer sogar: »Menschen interessieren sich nicht für Dinge, von denen sie keine Ahnung haben«, behauptet der Neurobiologe Gerhard Hüther. Gehen Sie also nicht davon aus, dass ein unwissendes Publikum plötzlich an Ihren Lippen hängen wird.
Und Hüter weiter: »Wenn Menschen nicht genügend Anfangswissen haben, um eine Wissenslücke zu triggern, müssen wir für sie das Anfangswissen in einem Kontext organisieren. Menschen können nur dann etwas lernen, wenn es an etwas Bekanntes andockt.«
Versetzen Sie sich also in die Lage Ihres Publikums. Schlüpfen Sie in deren Schuhe und betrachten Sie das Thema Ihrer Rede, die Geschichte, die Sie erzählen wollen, mit deren Augen. Zugegeben, dies ist keine leichte Übung, denn so ein Perspektivwechsel ist oft nicht einfach. Schließlich sind für Sie als Redner Dinge selbstverständlich, die für den Zuhörer komplett neu sind.
Vier Typen sitzen im Publikum
Hilfreich ist da, sich vor Augen zu führen, wer im Publikum sitzt und was genau Sie von diesem Publikum erwarten. Wer sind Ihre Zuhörer? Nancy Duarte unterscheidet vier verschiedene Kategorien und Ziele, die mit unterschiedlichen Zuhörerkategorien verbunden sind. Sitzen in Ihrem Publikum also:
- Zulieferer: Sind Ihre Zuhörer wichtige Zulieferer für Ihr Thema oder Ihre Idee? Mitarbeiter, Vorgesetzte, Mitmenschen, die Ressourcen beschaffen und zur Verfügung stellen können (z.B. Geld, Arbeitskräfte, Material), damit Ihre Idee Wirklichkeit wird?
- Beeinflusser: Sitzen im Publikum Meinungsbildner, die Ihre Idee weitertragen sollen, um noch mehr Menschen von der Idee zu überzeugen?
- Macher: Sprechen Sie unter den Zuhörern Macher an, die Sie brauchen, um Ihre Idee umzusetzen, und die tatkräftig mithelfen sollen?
- Innovatoren: Besteht Ihr Publikum aus Innovatoren und Kreativen, die aus Ihren ersten Überlegungen eine konkrete Idee machen, diese weiterentwickeln und ausbauen sollen?
Eine Kernidee, vier Zielgruppen – und somit auch vier unterschiedliche Geschichten. Je nach Zielgruppe ist die Zieldefinition eine andere und somit auch der Aufbau und die Ausgestaltung Ihrer Geschichte anders.
Allen gemeinsam ist aber ein tragender Gedanke: In Ihrer Geschichte sind nicht Sie der Held, sondern idealerweise Ihr Publikum. Gerne können Sie sich als Freund und Buddy präsentieren, wie Samweis Gamdschie gegenüber Frodo in Buch und Film »Herr der Ringe«. Oder Robin gegenüber Batman. Sie können sich auch als Mentor und Unterstützer positionieren, wie der Zauberer Gandalf gegenüber Frodo oder Jedi- Meister Obi-Wan Kenobi gegenüber Luke Skywalker in »Star Wars«.
Der Geschichtenerzähler selbst begibt sich äußerst selten in die Heldenrolle. Auch in Literatur und Film werden die meisten Geschichten, von einer Nebenfigur und nicht direkt vom Helden präsentiert.
»Am 22. Tage des Septembers im Jahre 1400, nach Auenlandzeitrechnung. Beutelsend, Beutelhaldenweg, Hobbingen, Westviertel, Auenland, Mittelerde. Das 3. Zeitalter dieser Welt. Hin und wieder zurück. Die Geschichte eines Hobbits von Bilbo Beutlin. Tja, wo fange ich an? Ach ja! Über Hobbits.«
»Der Herr der Ringe«, die Geschichte von Frodo und seinen Gefährten aus Mittelerde wird von seinem Onkel, Bilbo Beutlin, erzählt. Nicht vom Helden selbst. So sieht auch Schriftsteller Chad Hodge die Rolle des Geschichtenerzählers klar als dienende Funktion – im Dienste des Helden und des Publikums: »Helping people to see themselves as the hero of the story (...) whether the plot involves beating the bad guys or achieving some great business objective. (...) Everyone wants to be a star, or at least to feel that the story is talking to or about him personally.«
Beim Storytelling geht es also sehr wohl um SIE als Geschichtenerzähler - Storytelling ist etwas ganz Persönliches. Es geht aber immer auch und in erster Linie um DIE, um Ihr Publikum. Die Rezipienten, Zuhörer und Zuschauerinnen stehen im Zentrum jeder guten Geschichte – nicht der Redner. Auch wenn er oder sie die Art und Weise, wie er die Story erzählt, zu seiner ganz persönlichen macht.
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