Ja, ich war einst Krisenmanager



Über fünfzehn Jahre lang war ich Pressesprecherin für ein großes amerikanisches Fast-Food-Unternehmen in Deutschland. Und in dieser Funktion erlebt man so einiges: Restaurants, die Feuer fangen, Jugendliche, die sich in Toiletten verbarrikadieren, angebliche Lebensmittelvergiftungen und Verunreinigungen, Drohungen von Kunden mit Bildzeitung, RTL und Co.

Die größte Krise, die ich in dieser Zeit zu bewältigen hatte, war die BSE-Krise - als die ganze Welt plötzlich Angst hatte, Rindfleisch zu essen. Und dann die gefühlte Krise am 31.12.1999, als die Welt den Atem anhielt, da um Mitternacht die Uhr auf das Jahr 2000 springen sollte.

Ich war auch die Unternehmenssprecherin, die Rede und Antwort stand, als der Promi-Modedesigners Rudolph Moshammer von einem Mitarbeiter meines Kunden ermordet worden war. Der verwirrte, junge Mann erschien kurz nach der Tat noch am Arbeitsplatz und versuchte ganz normal zu arbeiten. Meldete sich dann aber ab und verlies fluchtartig das Restaurant. Die Polizei ergriff in kurz danach. Das Interesse am Tathergang und am Arbeitsplatz des Mörders war irrational, aber immens. Und dann war da der 11.September.

Ich war aber auch in der Krisenbereitschaft eines internationalen Reiseversicherers, der immer dann zum Einsatz kam, wenn irgendwo in Europa ein Bus ins Straucheln geriet und Touristen hängen blieben. Kurz zuvor hatte ich den Segelschein am Chiemsee gemacht. Aber wer am Wochenende Krisenbereitschaft hat und innerhalb von vierzig Minuten am Arbeitsplatz sitzen soll, kann vergessen, entspannt zwischen Prien und Übersee die Segel zu raffen. Auch in den Weihnachtsfeiertagen 2004 saß ich am Krisentelefon eines Tourismusunternehmens nachdem ein Erdbeben im indischen Ozean eine riesige Tsunamiwelle ausgelöst hatte.

Und ich habe für zahlreiche Chemieunternehmen Krisenhandbücher und Bereitschaftspläne geschrieben, Krisenstäbe geschult und Krisensimulationen geleitet. Ich kenne hartgesottene Kommandanten von Betriebsfeuerwehren, fürsorgliche Therapeuten des psychologischen Dienstes und Vorstände, Geschäftsführerinnen und Pressesprecher, die mit klarem Blick und gesundem Menschenverstand ihr Unternehmen durch schwierige Zeiten führen.

Ja, in über fünfundzwanzig Jahren als Unternehmensberaterin habe ich einiges an Krisen und Krisenkommunikation erlebt. Aber das hier … das ist etwas ganz Anderes.

Als Krisenmanager weiß man, dass Krisen eigene Regeln haben. Und wer diese kennt, hat gute Chancen, eine Krise zu meistern. Doch Covid-19 stellt fast alles davon auf den Kopf.

Krisenregel „Sachlage klären“: Wie aber reagiert man auf eine Explosion in Zeitlupe?

Krisenhandbücher werden in der Regel für einen ganz bestimmten Anlass geschrieben. Man will vorbereitet sein, wenn es knallt. Meist geht man bei der Beschreibung des „großen Bangs“ vom Unwahrscheinlichsten aus. „Worst Case Scenario“ nennt man das. Zumindest in der Planung will man den schlimmsten Fall einmal durchgespielt haben. Im wahren Leben – so die Hoffnung - wird es dann sicher nicht so schlimm werden. Meist stimmt das auch.

Eine Pandemie findet sich garantiert nicht in den meisten Krisenhandbüchern deutscher Unternehmen. Warum auch. Ist es doch unvorstellbar und liegt auch nicht im Verantwortungsbereich einer einzelnen Firma. Und es findet sich sicher auch kaum ein Szenario, bei dem die Krise quasi im Schneckentempo angekrochen kommt.

Krisenmanager unterscheiden zwischen „Issue“, einem langwierigen Problem und „Krise“, einem plötzlichen Ereignis. Beides kann zur Bedrohung für ein Unternehmen werden. Und für beides gibt es unterschiedliche Reaktionsmuster.

Aber Covid-19? Das ist alles zugleich und auf einmal: ein langsam näherkommendes, eigentlich nicht sichtbares Problem, das sich in Infektionszahlen, Kurvendiagrammen und Verdopplungsraten manifestiert. Für viele – gerade jüngere Menschen – immer noch nicht greifbar und begreifbar. Und gleichzeitig ist es eine akute Krise. Drastisch zu sehen in den schrecklichen Bildern von Corona-Patienten in aller Welt, zu fühlen an Ausgesperren, Home-Office-Anweisungen, Kurzarbeitergeld und drohender Insolvenz.

Krisenregel „Zeitmanagement in den Griff kriegen“: Was aber, wenn es kein Ende nimmt?

In der perfekten Krise gibt es einen ganz genauen Zeitplan. Gute Krisenmanager wissen ziemlich genau, wann was zu tun ist: Die Notfallschritte in den ersten dreißig Minuten, die ersten Statements und Anweisungen innerhalb der ersten Stunde, die Teamorganisation und der Kommunikationsplan für den ersten Tag, die Routinen, für die erste Woche.
Da die durchschnittliche Kommunikationskrise eigentlich nicht länger als zwei bis drei Tage andauert - 2016 hatte die klassische mediale Krise noch eine Verweildauer von fünf Tagen- kann man sich nach der ersten Woche schon Gedanken machen, wie der Weg zurück in den Normalzustand aussehen könnte.

So ein Zeitplan mag unterschiedlich verlaufen, aber die Tatsache, dass es einen feinjustierten Plan gibt, den man nur individuell anpassen muss, das allein vermittelt schon Sicherheit und Zuversicht und bringt ein Stück Souveränität und Handlungsoption zurück.

Aber Covid-19? Hier greift kein Zeitmanagement. Erst ging alles ganz langsam, begann Ende des Jahres mit ersten Bildern aus China. Und Anfang Januar wunderte man sich noch, wie man die Bewegungsfreiheit von so vielen Menschen einschränken könne. Dann ging alles ganz schnell. Und schon saßen wir zuhause, waren Geschäfte und Fabriken geschlossen, Schulen und Kindergärten ins Home-Office verlegt und Krankenhäuser in Alarmbereitschaft versetzt – und das alle ohne Enddatum.

Ein Krisenmodus mit Open End. Doch geht das überhaupt? Ein ständiger Alarm-Zustand wird irgendwann zur Gewohnheit. Und dann funktioniert Krisenmanagement gar nicht mehr. Change-Manager sind da die besseren Berater.

Doch für Covid-19 sind eigentlich auch nicht die Richtigen, denn die Kompetenz vieler Change-Manager ist es, Veränderungsprozess anzustoßen und Mitarbeiter zu sensibilisieren, dass Veränderung gut und nützlich ist und es dringend notwendig sei, sich jetzt endlich gegenüber Themen wie Digitalisierung oder agilem Arbeiten zu öffnen. 
Aber der sogenannte „sense of urgency“ ist längst da. Die Bedrohung, die von Covid-19 ausgeht, ist von den meisten verstanden– und die damit verbundenen Veränderungen sind längst da. Zwangsweise. Wer sind also die Richtigen, die uns beraten und durch diese „Krise“ steuern?

Krisenregel „Verantwortung klären“: Whom to blame?

Gerät ein Unternehmen in die Krise, ist die zweite Frage, die Journalisten stellen: „Wer trägt die Verantwortung?“ Und diese Frage kommt kurz nach der ersten Frage „Was ist passiert?“ In Zeiten von Social Media und Co. kommt die zweite Frage oft auch vor der ersten – oder gemeinsam.

Als Unternehmenssprecher steht man in der Regel vor zwei Szenarien. Die glückliche Variante ist: das Unternehmen ist Opfer einer höheren Macht und die Krise ein schrecklicher Schicksalsschlag. Die Rede ist von Sabotage, Erpressung, Naturkatastrophe, Kapitalverbrechen. Dahinter stecken schlimme Auswirkungen für Mitarbeiterinnen und Kunden. Doch kommunikativ diese Situation einfach. Empathie, Mitgefühl und Hilfsangebote gelten den Betroffenen und das Unternehmen gehört meist selbst dazu.

Schwieriger ist die Sachlage, wenn das Unternehmen Verursacher der Krise ist: Explosion auf dem Werksgelände, Verunreinigung von Umwelt und Natur, Produktfehler, Finanzschwierigkeiten, kriminelle oder gar illegale Aktivitäten. Die Sachlage in so einem Fall ist meist unklar (auch eine verlässliche Krisenregel), die Informationslage ist unübersichtlich und man kann Fakten von Gerüchten kaum auseinanderhalten.

Wenn abzusehen ist, dass man selbst Mist gebaut hat, wird es kompliziert. Schnell sitzt die juristische und finanzielle Brille auf der Nase, und ein frühes oder umfassendes Zugeständnis wird als verheerender gewertet als der eigentlichen Krisenauslöser. Krisenmanager sind geschult, sich in diesen Dilemmas zu bewegen und die Entscheidungsfindung auch in miesen Szenarien zu steuern.

Wer ist also schuld an Covid-19? Die Lage hier ist klar, oder? Es ist ein Schicksalsschlag, ein hinterhältiger Virus, der von irgendwo herkam, vielleicht von einem Wildmarkt in China. Wie schnell dieser sich weltweit ausbreitet und welche Folgen er mit sich brachte, das konnte kein Unternehmen der Welt vorhersehen und niemand trägt Schuld. Oder?

In Tirol und Ischgl diskutieren sie das gerade anders. Die Pandemieberater der WHO sehen das – seit Jahren - auch in einem anderen Licht. So manches finanziellen Versäumnis der Vergangenheit kommt jetzt schneller zum Tragen als gedacht und Covid-19 ist nicht alleine schuld an allen noch zu erwartenden Insolvenzen. Und die schnellen Reaktionen von Handelsketten im Mode- und Sportbereich wie Deichmann, H&M und adidas sind doch auch selbstgemachte Krisen.

Je länger die Situation anhält, umso mehr wandelt sich der fatalistische Schicksalsschlag in eine hausgemachte Krise – und wird damit wesentlich komplizierte als anfangs gedacht.

Ach übrigens, die dritte Frage von Journalisten in der Krise lautet: „Was tun Sie, damit dies nie wieder vorkommen wird?“ Diese Frage kommt garantiert.

Krisenregel „Rollen klar verteilen“: Was aber wenn alle in der gleichen Rolle stecken?

In der Krise sind die Rollen klar verteilt: da sind die Opfer und die Verursacher. Da sind die Helden und die Helfer. Als Pressesprecher kennt man die Vorurteile und Verdächtigungen, die Unterstellungen und die Klischees. Man weiß, dass Medien und Öffentlichkeit klare Aussagen und Entscheidungen hören möchten. Es sollen Schuldige gefunden werden, „Köpfe rollen“ oder zumindest Sündenböcke benannt werden.

Eine wichtige Krisenregel lautet: schützen Sie davor, in eine Rolle gedrängt zu werden, aus der Sie hinterher nur schwer herauskommen. Bleiben Sie aktiv und präsentieren Sie sich als Problemlöser, nicht als Problemverursacher. Ganz egal also wie stark Sie im Unternehmen mit dem Finger auf Einzelne deutet oder wie kollektiv und solidarisch Sie sich gegenüber der Belegschaft verhalten, Aufgabe des Unternehmens ist es, die Mannschaft zu motivieren und vereinen, gemeinsam ins Boot zu steigen und gegen den Sturm zu rudern.

Denn draußen tobt die See. Während Sie in der Krise stecken, geht am Markt die Welt einfach weiter und der Wettbewerber lacht sich schon ins Fäustchen und lechzt danach, Ihre Schwäche auszunutzen und Kunden wie auch Mitarbeiter abzuwerben. Daher: immer gibt es in der klassischen Krise das Momentum „Wir gegen den Rest der Welt“.

Aber bei Covid-19? Da ist alles anders. Da steckt die ganze Welt in der Krise. Da kann es nicht heißen: „wir gegen den Rest“. Denn der Rest steckt auch im Boot. Und alle rudern wie wild.

Es heißt gemeinsam. Und damit sind alle gemeint. Die Wettbewerber, die Öffentlichkeit, die ganze Welt. Was für ein Krisenmodus ist das? Und welche Regeln gelten dafür?

Was bin ich froh, kein Krisenmanager mehr zu sein.

Und froh, dass es Wissenschaftler gibt, die jetzt Krisenkommunikation machen. Und zwar ziemlich gut. Und Forscher, die keinen Wettbewerb und keinen Markt kennen und einfach ihre Arbeit machen – für die ganze Welt. Für alle. Und Philosophen, die nicht mit der alten Mär locken, dass „in jeder Krise auch eine Chance steckt“ (altes Chinesisches Sprichwort und so), sondern klar und deutlich sagen, dass Krisen schlechte Ratgeber sind und einfach nicht taugen, uns zum Guten zu erziehen. Und viele, viele Menschen, die über Nacht zum Krisenmanager geworden sind und täglich mithelfen, diese Situation im Großen, wie im Kleinen zu bewältigen.

Photo by Markus Spiske on Unsplash

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