Auf keinen Fall zum Märchenonkel werden
Durch den Erfolg der Grimm’schen Märchen wurde der Ausdruck »jemandem ein Märchen erzählen« oder »jemandem eine Geschichte auftischen« umgangssprachlich zum Synonym für Lügengeschichten, Flunkern und Täuschung.
Sind Storyteller Lügner?
Sind also unwahre, verzerrende oder übertreibende Elemente per definitionem ein Kriterium des Storytellings? Um diese Frage zu beantworten, gilt es zu klären, welche Bausteine für das Storytelling entscheidend sind und wie sich diese Form der Kommunikation von anderen Formen abhebt.Annika Schach, Professorin für angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover, analysiert in ihrem Buch »Storytelling und Narration in den Public Relations« die Kriterien, die einen sachlichen Bericht von einer emotionalen Geschichte unterscheiden: Beide Textgattungen – Bericht und Story – bezeichnet Schach als »Vertextungsmuster «, die jedoch in wesentlichen Aspekten differieren:
- Berichte sind ergebnisorientiert, Geschichten hingegen sind ereignisorientierte Texte. So geben Geschichten in der Regel Auskunft über einen Ort und Zeitraum, in dem sie »spielen«, und führen eine Person ein, die etwas erlebt. Berichte funktionieren neutral, ort und zeitunabhängig.
- Berichte sind sachlich registrierende und neutrale Darstellungen, während Geschichten subjektiv aus der Perspektive eines Erzählers präsentiert werden.
- Berichte bemühen sich um eine objektive, möglichst nicht wertende Darstellung, während Geschichten subjektiv-wertend und dadurch emotional in ihrer Darstellung sind.
Storytelling ist exemplarisches, erlebnisorientiertes und subjektives Erzählen. Und somit ist auch die Wahrheit, die Geschichten vertreten, subjektiv. Dies trifft für die Schilderung des Zeugen eines Verkehrsunfalls zu, auf die Anekdote, die (ein Vorstand in einer Präsentation) aufgreift, sowie auf die Geschichte einer Kindheitserinnerung, die ein Hans Rosling auf einer TEDKonferenz erzählt.
Wenn rationale Kommunikation nicht ausreicht
Wann immer Sie kommunizieren, stehen Ihnen zwei Optionen zur Verfügung, um Ihr Gegenüber zu überzeugen: Sie können rational kommunizieren oder emotional.Rationale Kommunikation ist ein bewusster und intellektueller Prozess. Emotionale Kommunikation – wie Storytelling – ist ein unbewusster und automatischer Prozess. Selbstverständlich bleibt es Ihnen überlassen, was Sie einsetzen. Wenn Sie auf Storytelling verzichten wollen, dann nur zu. Denn rationale Kommunikation funktioniert ganz hervorragend. Folgt man der Argumentation von Storyteller-Guru Robert McKee, müssen dafür allerdings zwei Dinge gewährleistet sein:
1. Rationale Kommunikation funktioniert nur dann, wenn Sender und Empfänger einer Botschaft – also Sie und Ihr Zuhörer – die gleichen Interessen und Wertvorstellungen teilen.
2. Beide Seiten – Empfänger und Sender – müssen sich gleich viel Zeit nehmen und sich beide gleichermaßen auf den Kommunikationsvorgang konzentrieren.
Wir sprechen in diesem Fall von einer symmetrischen Kommunikationssituation. Und die ist immer dann gegeben, wenn Sie vor einem hochinteressierten, wissensdurstigen Publikum stehen, das sich bei einheitlichem Wissensstand für eine bestimmte Zeitspanne bereit erklärt hat, sein Wissen zu erweitern, ohne sich dabei von anderen Einflüssen ablenken oder stören zu lassen.
Die Regel ist das leider nicht. Die Regel ist eine asymmetrische Kommunikationssituation. Das heißt, dass Sie als Sender Ihr eigenes Thema sehr spannend finden, Ihre Zuhörer aber leider nicht. Und während Sie, gut vorbereitet, Ihren Vortrag konzentriert präsentieren, fingern Ihre Zuhörer ungeduldig auf dem Handydisplay herum. Schätzungen zufolge berühren Menschen ihr Handy bis zu 3.000 Mal am Tag. Mit Sicherheit also auch einige Male während Ihres Vortrags.
Wenn Sie es also mit einem Publikum zu tun haben, das Ihrem Thema eher abgeneigt oder skeptisch gegenübersteht oder aber das sich leicht ablenken lässt, lohnt es sich, auf die Technik des Storytellings zurückzugreifen. Denn in asymmetrischen Kommunikationssituationen ist emotionale Kommunikation wesentlich effektiver als rationale. Es hat also den Anschein, dass wir auf eine Welt zusteuern, die wesentlich mehr Geschichten benötigt, als wir bisher dachten.
Sie wollen sicher kein Märchenonkel und keine Märchentante werden, aber vielleicht doch ein Storyteller.
Wie, das erfahren Sie in dem Buch, aus dem dieser Text stamme: „What´s your Story? Leadership Storytelling für Führungskräfte, Projektverantwortliche und alle, die etwas bewegen wollen“ – ein Buch, das allen Mut macht, mehr zu erzählen anstatt nur zu präsentieren. Erschienen bei O´Reilly, erhältlich bei Ihrem lokalen Buchhändler, bei amazon, bei O´Reilly, Thalia oder GenialLokal – ganz wie Sie wollen.
Oder aber Sie besuchen eines meiner Online-Trainings auf LinkedIn-Learning, nehmen an einem Webinar der news aktuell Academy oder schauen auf meiner Webseite vorbei.