WIEVIEL MORAL VERTRÄGT WERBUNG


Daniel Erk stellt Fachblatt „werben und verkaufen“ (4/2016) die Frage, warum sich das Marketinggeschäft plötzlich so sehr um Werte und Moral kümmert? Im traditionellen Werbegeschäft fragt man sonst auch keiner nach den hehre Zielen – außer natürlich, wenn man sich um einen Cannes Lion bewirbt. Dort kann man schon seit langem beobachten, dass Kampagnen, die sich für eine NGO einsetzen und ein soziales oder umweltpolitisches Ziel unterstützen, extrem gute Chancen haben. Sicher, die größte Auszeichnung, der Grand Prix, bleibt nach den Statuten der Cannes Lions verwehrt, aber immerhin kann man einen Bronze, Silber oder Gold-Löwen abstauben und in der eigends eingerichteten Kategorie „NGO“ auch nochmals Preise abräumen. 

Aber von dieser Art Kampagnen spricht Daniel Erk gar nicht. Er meint Supermärkte, die die Einsamkeit von verwitweten Vätern an Weihnachten anprangern, Baumärkte, die für den Weltfrieden bauen und Airlines, die die Mütterliebe preisen. Alles Marken, die mit ihrem Marketing eigentlich nur eines bezwecken: an den Geldbeutel ihrer Kunden rankommen. Und dafür reitet man derzeit eine ganz bestimmte Welle: eine moralische. 

What, How und vor allem Why

Der Auslöser für diesen Boom der Gefühlswelten ist mit Sicherheit in Amerika zu finden. Konkret auf der TED-Konferenz in Newcastle/USA. Dort hielt Simon Sinek, Marketingberater und Buchautor am 17. September 2009 eine bewegende Rede. Sein Vortrag über "How great Leaders inspire us" zählt zu einem der meistgesehenen TED-Videos aller Zeiten – ein Beweis, dass Sinek einem interessanten Phänomen auf die Spur gekommen ist. Sinek erklärt anschaulich, was eine motivierende Rede von einer herkömmlichen Rede ausmacht und ganz nebenbei erklärt er auch noch Unternehmenskommunikatoren und Marketingprofis ihren Job. Denn erst wenn ein Unternehmen oder eine Marke sich darüber in klarem sind „Was“, „Wie“, vor allem aber „Warum“ sie existiert, erst dann würde sie auch erfolgreich kommunizieren und andere Menschen – ob Mitarbeiter oder Kunden – motivieren. Daniel Erk zitiert in seinem Artikel nicht Simon Sinek, sondern Guido Heffel von der Agentur Heimat. Doch auch dieser bringt die Sache mit dem „Reason Why“ auf den Punkt: „Immer mehr Kunden fragen nach dem Warum. Sie wollen wissen: Warum gibt es diese Marke? Wenn wir uns also mit Kunden, Marken und Kommunikation auseinandersetzten, denken wir sehr viel nach über die Zeit, in der wir leben. Wir fragen uns: Wie ticken Menschen, was sind die Ängste und Sorgen, wie schaffen wir da eine Verknüpfung? Ist das für die Menschen relevant? Schaffe ich es, für dieses Produkt eine Notwendigkeit in dieser heutigen Zeit zu schaffen?“ (WuV, 4/2016). 

Ein hoher Anspruch, dem sich Unternehmen und Marken da stellen. Wenn sie es gut machen und ernst meinen, dann profitieren wir alle davon – das Unternehmen und die Menschen. Wenn sie dies allerdings nur als Marketingtrick anwenden, dann kommt sich der Kunde sehr schnell veräppelt vor … und der merkt das auch ziemlich schnell.

Brands Best Self und Cultural Tension werden zum Big Ideal. Echt jetzt?

Ogilvy hat für die Suche nach dem „Reason Why“ sogar eine eigene Methode. Stephan Vogel wird im gleichen Artikel von Daniel Erk zitiert mit: „ <<Wir schauen uns die Marke an und suchen nach den kulturellen Spannungsfeldern und Themen, mit denen das in Verbindung gebracht werden kann.>> Dort, wo sich das überschneidet, was bei Oglivy <<Brands Best Self>> einerseits und <<Cultural Tension>> andererseits genannt wird, findet sich das >>Big Ideal<<: das große Thema der Zeit, das zum Themenspektrum der Marke passt.“ 

Wie authentisch klingt das? Ich denke, diese Frage darf man an dieser Stelle fragen. Alleine, um uns Agenturmenschen immer daran zu erinnern, dass nicht wir es sind, die der Marke einen Grund geben, sondern dass es die Menschen sind, die das Unternehmen und seine Produkte ausmachen. Und dass man es schlussendlich auch nicht übertreiben sollte.

Wenn alle über da Herz an den Geldbeutel wollen

Denn, so Erk in seinem guten Artikel weiter: „Wenn alle den Menschen über da Herz an den Geldbeutel wollen, werden sich die Zuschauer bald gähnend abwenden. Werbung lebt von der Überraschung, von der Differenz und diesem fragilen Gut namens Aufmerksamkeit.“ 
Es ist also Zeit für neue Methoden und ein bisschen mehr Abwechslung.


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