Authentisch? Wie schwer es ist, echt zu sein

 


Ein Bild wird dann als »authentisch« empfunden, wenn der Betrachter das Gefühl hat, dass das, was er sieht, echt und ungeschönt ist. Ganz so, wie der Tiktok-User «420doggface208», der auf einem Skateboard zur Musik von Fleetwood Mac, Saft-trinkend zur Arbeit fährt – und sich dabei filmt. Mehr Authentizität geht nicht. Die Szene ist echt und das eingefangene Lebensgefühl authentisch. Der Clip geht 2020 viral und bekommt 30 Millionen Views.

Authentitzität – die Königsklasse der Contentproduktion

Seit Anfang der 2000er Jahre setzt sich der Trend zum »Realismus« in der Werbefotografie durch. Wegbereiter dieses Trends ist die Kosmetikmarke Dove. 2004 verzichtete Dove in der Kampagne »For Real Beauty« auf den Einsatz professioneller Fotomodels und arbeitete stattdessen mit »realen Frauen« in Werbung und PR. Startpunkt der Kampagne war eines der ersten YouTube-Videos, von denen man behaupten kann, dass es viral ging, denn der Inhalt war ein Schock. Der Film „Dove Evolution“ zeigt in 1,15 Minuten alle Tricks, die angewendet werden, um aus einer durchschnittlich hübschen Frau, ein Supermodel zu machen. Die Kosmetikmarke aus dem Hause Unilever brach damit alle Konventionen und verpflichtete sich, in Zukunft auf diese überhöhten und verfälschten Schönheitsideale zu verzichten (Mehr zur Kampagne findet sich auf der Webseite von Unilever).

Durch den Erfolg der Kampagne und die dadurch ausgelöste Diskussion um falsche Schönheitsideale fühlte sich die Frauenzeitschrift Brigitte bestärkt und verzichtete ebenfalls auf eigenen Modestrecken und auch auf dem Zeitschriften-Cover auf Fotomodels und setzte auf »reale« Laienmodels. (Warum die Zeitschrift Brigitte zweieinhalb Jahre später wieder zu Models zurückkehrte, lesen Sie hier)

Ein ähnliches Ziel – zu mehr Authentizität im Bild - verfolgte auch die Kooperation der Facebook-Managerin Sheryl Sandberg und ihrer Stiftung LeanIn.org mit der Bildagentur Getty Images. Ihr Anspruch: weniger Klischees und stereotype Darstellung von Frauen auf Stockbildern – wie etwa Frauen, die lauthals lachend in der Küche sitzen und Salat zubereiten. Stattdessen mehr Frauenbilder, die selbstbewusste, kreative Macherinnen zeigen.

Das Ergebnis dieser Kooperation kann sich sehen lassen: außergewöhnliche Bilder, die starke Geschichten erzählen. Ein Blick auf die Initiative und Leanin-Collection bei Getty lohnt sich.

Und auch Burberry setzte frühzeitig und mit großem Erfolg auf den Trend „Authentizität im Bild“. Mit »Art of the Trench« setzt das Luxuslabel seit 2008 auf Bilder von und mit echten Kunden in Trenchcoats der Marke Burberry. Allein im ersten Jahr besuchten 7,5 Millionen User aus 150 Ländern die Webseite. Die Konversionsrate von »Art of the Trench« hin zur Corporate-Website von Burberry übertraf alle Erwartungen und der Onlineverkauf stieg um 50 Prozent.

Aber was genau ist „Authentizität“?

Laut Wikipedia versteht man unter „Authentizität“ die „Echtheit im Sinne von Ursprünglichkeit“. Und da liegt für Marketing und PR schon die größte Hürde. Denn jedes Werbebild und jedes Pressefoto ist in der Regel inszeniert oder zumindest mit einem bestimmten Vorsatz produziert worden – also genau das Gegenteil von „authentisch“, denn in der Regel nicht spontan, ursprünglich und ohne Hintergedanken.

Daher Vorsicht in Briefings und Projektaufträgen bei dem Begriff. Gemeint ist dann in der Regel „die Anmutung von Echtheit“, die Visualisierung von „Ursprünglichkeit“, das Vermeiden von „inszenierter Optik“. Das bedeutet dann aber auch nicht, dass Bilder verwackelt, verpixelt, ästhetisch unattraktiv sein müssen. Denn gerade der oft so hochgelobte „authentische“ Content von Influencern auf Instagram und TikTok ist meist hochprofessionell produziert, feinsäuberlich geplant und in seiner Unperfektheit einfach perfekt.

Was tun? Am besten sollten wir den Begriff in der professionellen Kommunikation einfach vergessen und ihn den Usern überlassen … denn die sind ja per se „authentisch“, oder?

Lesen Sie mehr über die Kriterien "starker Bilder" und das Thema Visuelles Storytelling in dem Buch, aus dem dieser Text zum Teil stammt: „Visual Storytelling: Visuelles Erzählen in PR und Marketing“ von Petra Sammer und Ulrike Heppel, O´Reilly.

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