Ohne Gefühle keine Bilder - Ohne Bilder keine Erinnerungen
Neben angeborenen Triggern (»visuelle Schlüsselreize« wie etwa das „Kindchenschema“) eignen wir uns Bilder als emotionale Auslöser durch Erfahrung an. Bilder dienen uns als Gedankenstütze für Erfahrungen und die damit verbundenen Emotionen. Das gilt sowohl für tatsächliche Bilder, die vor uns liegen, wie Illustrationen, Fotos oder Filme (»tatsächliches Sehen«) als auch für imaginäre Bilder, die wir nur vor unserem inneren Auge sehen (»imaginäres Sehen«).
Wenn wir Fotos oder Filme betrachten, die uns an bestimmte Erfahrungen erinnern, können wir automatisch die damit verbundenen Gefühle wachrufen. Denken Sie etwa an Ihre Hochzeit, Bilder aus Ihrer Kindheit oder andere einschneidende Erlebnisse Ihres Lebens, die Sie im Bild (als Foto oder Film) festgehalten haben.
Diese Gedankenstütze funktioniert auch umgekehrt. Wenn wir uns an Erfahrungen erinnern, kommen die damit verbundenen Bilder in uns hoch - vor unserem inneren Auge. Auch diese imaginären Bilder sind in der Lage, die damit gespeicherten Emotionen zu wecken. Fragen Sie zum Beispiel jemanden, was er am 11. September 2009 gemacht hat: Die Person wird mit Sicherheit sagen können, wo sie damals war. Automatisch stehen uns die Bilder vor Augen, die wir selbst erlebt haben – wie auch die Fernsehbilder, die wir mit 9/11 verbinden. Beide visuellen Reize, ob tatsächlich oder imaginär, lösen Gefühle aus.
„Ohne Gefühle gibt es keine Erinnerung“
Wie eng visuelle Wahrnehmung, Emotionen und Gedächtnis miteinander verbunden sind, untersuchte der Neurobiologe Larry Cahill. 1996 lud er eine Gruppe von Testpersonen in sein Institut an der University of California ein und zeigte ihnen zwölf neutrale und zwölf hochemotionale Filmsequenzen. Während der Filmvorführung führte er bei den Testpersonen eine Positronen-Emissions-Tomographie durch und beobachtete die Gehirnaktivitäten. Drei Wochen später wurden die Testpersonen wieder eingeladen und gefragt, ob sie sich an die Filmeszenen erinnern konnten. Das Ergebnis war nicht überraschend, und doch – besonders für Kommunikationsprofis – entscheidend: Je emotionaler die Filme waren, desto besser war das Erinnerungsvermögen der Testteilnehmer. Die neutralen Filmsequenzen hatten sie schlicht vergessen.Cahill konnte zeigen, dass die Amygdala im Gehirn stark aktiviert wurde, jener Teil unseres limbischen Systems, der für die emotionale Bewertung von Reizen – auch visuellen Reizen – verantwortlich ist und Erfahrungen mit Emotionen verknüpft. Die Amygdala steht in engem Austausch mit dem Hippocampus, dem »Wächter der Erinnerung«, der dafür sorgt, dass Informationen vom Kurz- in das Langzeitgedächtnis wechseln. Auch die Psychologin Anne Hauswald wies in ihrer Diplomarbeit über das Wiedererkennen emotionaler Bilder die Kraft positiver Emotionen nach. Bilder, die positiv wahrgenommen werden, haben einen höheren Wiedererkennungswert als negative Bilder, die unter Umständen sogar aktiv verdrängt werden.
Dass visuelle Informationen körperliche Auswirkungen haben, konnten Biologen und Mediziner in zahlreichen Studien nachweisen.
Beim Betrachten von Bildern und Filmen werden die gleichen Botenstoffe ausgeschüttet wie bei realen Erfahrungen, z. B. Dopamin, Serotonin oder Noradrenalin. »Ohne Gefühle gibt es keine Erinnerung«, sagt der Psychologe und Gedächtnisforscher Hans J. Markowitch von der Universität Bielefeld und spricht damit eine Maxime aus, die für Unternehmenskommunikation und Marketing wegweisend ist.
Keine Ausreden mehr
Doch die Praxis von Corporate Communications und Produktkommunikation sieht heute teilweise noch anders aus. Gefühle sucht man vergebens. Stattdessen informieren Texte sachlich über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen. Das begleitende Bildmaterial präsentiert Unternehmensvorstände und Manager, das Unternehmensumfeld wie Gebäude, Maschinen, Labore und deren Produkte seriös, souverän ... und neutral.
Stan Phelps, Autor und Marketingexperte, duldet keinerlei Ausreden mehr dafür, emotionales Bildmaterial in der Unternehmenskommunikation nicht zum Einsatz zu bringen. Laut Phelps beträgt die Kundenbindungsrate für Kommunikation, die sich ausschließlich auf Text verlässt, zehn Prozent. Fügt man ein emotionales Bild hinzu, steigert sich dieser Wert auf 65 Prozent. Phelps nennt dies den »Picture Superiority Effect«.
Um genauer zu erfahren, welches Bildmaterial im Netz erfolgreich ist, legte Kelsey Libert von der Agentur Fractl 800 Testpersonen insgesamt 23 Bilder aus der Datenbank Imgur vor, die online viral erfolgreich waren. Die Teilnehmer wurden nach den Gefühlen befragt, die diese Bilder bei ihnen auslösten. Eine Kontrollgruppe bewertete parallel Bilder, die nicht viral erfolgreich waren. Drei Ergebnisse aus dieser Studie sind bemerkenswert:
- Erfolgreiche Bilder triggern in der Regel positive Gefühle wie Freude, Interesse, Vorfreude und Vertrauen. Negative Gefühle sind weniger erfolgreich, außer wenn sie mit Überraschung und Erwartung verknüpft sind.
- Erfolgreiche Bilder sind emotional komplex. Im Vergleich zu Bildern, die im Internet nicht häufig geliket und gesharet wurden, lösen sogenannte Virals eine größere Bandbreite an unterschiedlichen Emotionen aus. Positive Gefühle allein machen also noch nicht den Erfolg aus: Es kommt auf den Gefühlsmix an.
- Das Gefühl der Überraschung erweist sich als wichtigster Schlüsselreiz. Erstaunen war eine der meistgenannten Emotionen, die Testpersonen viral erfolgreichen Bildern zusprachen.
Tipp: Der amerikanische Anthropologe und Psychologe Paul Ekman geht davon aus, dass man sechs Grundemotionen aus dem Gesicht eines Menschen ablesen kann. Bilder können weit mehr als diese sechs auslösen. Um sich davon ein Bild zu machen, besuchen Sie doch die Fotocommunity: http://www.fotocommunity.de/spezial/emotionen/2153. Hier haben sich Community-Mitglieder die Mühe gemacht, Fotos nach Emotionen zu sortieren.
Mehr Infos, Hintergrundwissen und Beispiel zum Thema „Visuelles Erzählen“ finden Sie in dem Buch „Visual Storytelling: Visuelles Erzählen in PR und Marketing“ von Petra Sammer und Ulrike Heppel, O´Reilly – aus dem dieser Textauszug stammt.
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