Bilder als Überlebensstrategie
Zu wenig Zeit
585 Minuten am Tag – fast zehn Stunden – verbringen wir laut SevenOneMedia mit medialen Inhalten, die uns Fernseher, Radio, Computer, Smartphone und Co. bieten. Die Marktforscher analysierten zwar nur die sogenannte werberelevante Zielgruppe im Alter zwischen 14 und 49 Jahren, doch alle anderen Altersgruppen verbringen nicht viel weniger Zeit vor dem Bildschirm.Die Mediennutzung ist in den letzten fünfzehn Jahren um 16 Prozent gestiegen, Tendenz steigend. Insgesamt verwenden wir schon mehr Zeit mit Medien als mit allen anderen Hauptbeschäftigungen. Zu diesem Ergebnis kommen ARD und ZDF in ihrer Langzeitstudie »Massenkommunikation«. Fast zehn Stunden täglicher Mediennutzung stehen zum Beispiel 82 Minuten für Essen, 35 Minuten für Körperhygiene oder auch durchschnittlich 40 Minuten für das Treffen mit Freunden und Bekannten gegenüber.
Zehn Stunden pro Tag, 585 Minuten ... und doch haben wir ständig das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, um uns ausreichend zu informieren. Zu wenig Zeit, um die 5,4 Onlinegeräte, die wir laut Wave8- Studie, einer Langzeitstudie von Universal McCann, durchschnittlich zu Hause haben, regelmäßig zu nutzen. Der Blogger Klaus Eck bringt dieses Zeitparadoxon treffend auf den Punkt:
»Die Zeit limitiert unsere Informationsaufnahme. Worauf wir achten, das sind Bilder, gefettete Texte, Videos und grafische Hervorhebungen jeder Art. Den Text dazwischen übersehen wir beim vielfältigen Klicken und Beharren darauf, unsere Lektüre nur noch zu scannen. Beim Lesen verlieren wir viel zu viel Zeit, warum sich noch ein Buch vornehmen oder eine andere Art des Long Form Contents? Es ist alles einfach zu viel. Die Flüchtigkeit des Lesens steht im Einklang mit dem Information Overload und dem Bewusstsein, immer nur einen Bruchteil der vorhandenen Informationen aufnehmen zu können. Es gibt von allem immer mehr, so dass wir vor lauter fragmentierter Medienlandschaft und Blogosphäre nur noch auf die Zwischenüberschriften starren.«
Unser Aufnahmevermögen ist am Limit
Alle 60 Sekunden werden vier Millionen Suchanfragen auf Google gestellt, 204 Millionen E-Mails verschickt, 13,8 Millionen Nachrichten auf WhatsApp gepostet und 277.000 Tweets auf Twitter abgesetzt. Wir leben im Informationsüberfluss, und täglich kommen mehr Daten hinzu. Es ist daher kein Zufall, dass derzeit zwei Schlagworte die Kommunikations- und Marketingwelt beherrschen: »Big Data« und »Storytelling «.Es hat sogar den Anschein, dass beide Begriffe Hand in Hand gehen, denn je besser wir in der Lage sind, Rohdaten zu ermitteln, desto mehr ringen wir um die Bedeutungshoheit über sie und versuchen, sie zu sinnstiftenden Geschichten zu verdichten.
Doch auch gut verpackte Studien und Analysen, spannend aufbereitete Reportagen und Storys scheitern mehr und mehr am Limit unserer Aufnahmefähigkeit. Immer schneller und kürzer muss daher die Informationsaufnahme möglich sein, um überhaupt noch zum Leser und User durchzudringen. Daher begeistern wir uns für bunte, ansprechende Infografiken, die uns das Hinsehen leicht machen. So wecken Fotografen mit geschickt montierten Bildern unsere Aufmerksamkeit und gelingt es YouTubern, uns in drei Minuten komplexe Vorgänge mithilfe von »How-to-Videos« zu veranschaulichen. Wir verlassen uns mehr und mehr auf Bilder und vertrauen ihnen.
Wo bleibt der Content Shock?
Google kündigte 2015 an, verstärkt auf die Visualisierung von Inhalten zu setzen. Zum Beispiel in der Gesundheitsinformation: Fünf Prozent der monatlich über 100 Milliarden Suchanfragen bei Google betreffen Krankheiten und Krankheitssymptome. In Zusammenarbeit mit Ärzten und Gesundheitsspezialisten hat Google daher für die 400 meistgesuchten Indikationen Kurzporträts und Erstinformationen erstellt, die einen Schnellüberblick zum Thema geben. Zusätzlich zum Text wurden alle 400 Beiträge erstmals von Grafikern illustriert, denn - so Google in einer Pressemitteilung:»Visuals get the message out a lot quicker, and consumers are more likely to share images than text.« (…)Medienexperten warnen schon lange vor den Stressfaktoren der digitalen Kommunikation wie Zeitlimitierung und ständig steigender Reizüberflutung. Seit Jahren prophezeien sie den so genannten »Content-Schock«, der zu einer kommunikativen Schockstarre und Abkehr vom Internet führen werde. Doch bisher ist der Schock ausgeblieben. Warum? Warum haben wir nicht schon lange vor der Lawine aus dem Netz kapituliert?
Ein Teil der Antwort ist: wegen der Bilder. Die Verlagerung weg von textbasierter Kommunikation hin zu visueller Kommunikation erleichtert uns die Verarbeitung der Informationsfülle. Ein Phänomen, das überall zu beobachten ist (…).
»Start the cameras, and our guardian angel will take care of you.«
Mit diesem Zitat von Joe Kittinger, Fallschirmspringer und Mentor von Felix Baumgartner, ging am 14. Oktober 2012 auf Twitter ein Bild um die Welt. Red Bull hatte dem Extremsportler Felix Baumgartner einen Traum erfüllt: den Sprung aus der Druckkapsel eines Heliumballons aus 38.969 Metern Höhe. Eine Aktion, die der Marke mit dem Werbeslogan »Verleiht Flüüügel!« weltweit Aufmerksamkeit bescherte.
Und der erste Tweet von Red Bull Stratos lässt keinen Zweifel daran, was das Wichtigste an der Kampagne war: Kameras an! Red Bull gelang es, mit Red Bull Stratos eine visuell starke Geschichte zu erzählen und zumindest für einen Tag mit einem eigenen Bild aus dem Meer an Bildern aufzutauchen. Aufzutauchen aus dem Meer an Bildern, sich also mit eigenen Bildern durchzusetzen, mit visuellen Kommunikationsstrategien, die bildstark überzeugen und aufmerksamkeitsstark wirken – das ist die zukünftige Aufgabe für Unternehmenskommunikatoren und Marketingprofis.
Denn die Vorteile von Bild gegenüber Text liegen auf der Hand:
- Die Welt heute ist komplex. Texte sind komplex. Bilder hingegen sind einfach anzusehen.
- Die Welt dreht sich immer schneller. Texte zu lesen, braucht Zeit. Bilder funktionieren wesentlich schneller.
- Die Welt ist voll. Sie ist voll von Informationen und es scheint, dass es oft nur noch Bildern gelingt, zu Konsumenten durchzudringen und Aufmerksamkeit zu wecken.
- Die Welt ist global, und so muss auch Kommunikation mehr und mehr global funktionieren. Texte müssen übersetzt werden, während Bilder meist weltweit verständlich sind.
- Weg vom Text, hin zum Bild.
- Die Abkehr von Bildern, die nur als Begleiter und Dekorateure eines Textes dienen, wie etwa Produktabbildungen, sogenannte Product-Shots oder »Stills«, die oft plakativ und überhöht die Unternehmens- und Produktwelt in einem idealen Licht darstellen. Und die Hinwendung zu Bildern, die eine Geschichte erzählen.
Drastisch drückt es Mario Münster aus, Kommunikationsberater und Mitgründer des Onlinemagazins »Rosegarden« Anfang 2015 in seinem Blogbeitrag »Bye Bye, Buchstaben. Hi, Visual Storytelling!«:
»Ihr Töchter und Söhne von Schiller, Goethe, Lessing... ihr müsst jetzt ganz stark sein. Denn wir rufen das Zeitalter des Visuellen aus. Ach was, wir stellen eigentlich bloß fest, dass es so ist. Kurzgeschichten, Briefe, Gedichte... wunderschön, oder? Aber totale Nostalgie. Damit wir uns gleich am Anfang richtig verstehen: Wir lieben Wörter. Und mindestens einer von uns beiden braucht sie als Grundlage jedweder Artikulation von Ideen und Gedanken. Aber wir erkennen uneingeschränkt an: Modernes Storytelling braucht Bilder – denn anders dringt keine Geschichte mehr durch. Bilder sind schnell, funktionieren sprachübergreifend und transportieren Emotionen in Sekundenbruchteilen. Und wir gestehen: Zum Einschlafen lesen wir nicht mehr zehn Seiten in einem Roman, sondern gestatten unserer Tumblr Blogroll mit Bildern aus den Weiten Nordamerikas, die Sehnsüchte und Ideen zu entwickeln, die uns am Leben halten. Amen.«
Textauszug aus dem Buch „Visual Storytelling: Visuelles Erzählen in PR und Marketing“ von Petra Sammer und Ulrike Heppel, O´Reilly.
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