8 Erzählmuster, die Sie für Ihre Business-Story kennen sollten
Schriftsteller, Poeten, Filmemacher, aber auch Psychologen, Soziologen, Kommunikationswissenschaftler, Marketingprofis und Unternehmer haben sich von diesem Muster inspirieren lassen. Bob Dylan, Jim Morrison, Stanley Kubrick, Steve Spielberg, sie und viele mehr berufen sich auf Campbells Werk, das das Time Magazin in seine Liste der 100 einflussreichsten englischsprachigen Bücher seit Gründung des Magazins 1923 aufgenommen hat. Dabei wäre das Buch fast in Vergessenheit geraten. Denn 1949, nach Erscheinen der ersten Ausgabe, interessierte sich so gut wie niemand dafür. Und Joseph Campell hat seinen Ruhm leider zu Lebzeiten auch nicht mehr genießen können. Denn seine These der »Heldenreise« erreichte erst 1988 Beachtung und Berühmtheit nach der Ausstrahlung der sechsteiligen Interviewreihe »Joseph Campbell and the Power of Myth« mit dem TV-Journalisten Bill Moyers. Campbell starb ein Jahr zuvor, 1987. Die TV-Serie wurde bezeichnenderweise am Wohnsitz von George Lucas aufgenommen, der sich, befragt nach dem Erfolgskonzept seiner Star-Wars-Story, ausdrücklich auf das Buch von Joseph Campbell beruft.
Die Heldenreise (»Hero’s Journey«)
»Take us on an adventure. Stories need someone going on an adventure, whether that’s a physical trek or an introspective, reflective one.« – Matt McCueDer Erfolg ist also garantiert, wenn Sie einen Helden oder eine Heldin zunächst in der gewohnten Umgebung seiner Welt präsentieren, damit Zuhörer oder Zuschauer mit ihm vertraut werden – und ihn dann auf die Reise schicken. Der Held wird aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen, absichtlich oder unabsichtlich folgt er dem Ruf des Unbekannten und geht hinaus in eine für ihn fremde Welt. Helden müssen zahlreiche Prüfungen und Aufgaben bestehen. Es kommt zu positiven und auch negativen Begegnungen, Freunde helfen, Mentoren unterstützen, und nach zahlreichen Bewährungsproben kehrt der Held in seine Heimat zurück. Doch nach der Reise ist er nicht mehr der alte. Er oder sie hat sich gewandelt und bringt das neu erworbene Wissen in die alte Welt mit, um diese nun auch zu verändern.
Ein einfaches Muster – im wahrsten Sinne des Wortes –, eine Reise mit Aufbruch, Abenteuer und Rückkehr. Doch was so einfach klingt, hat es in sich. Denn die Jahrtausende, in denen wir uns dieses Musters immer und immer wieder bedienen, beweisen, wie variationsreich und vielfältig Geschichten gestaltet werden können. Ganz gleich ob Odysseus nach zwanzigjähriger Odyssee zu seiner Frau zurückkehrt oder ob Harry Potter am Ende der sieben Bücher mit seinem Sohn auf Gleis neundreiviertel auf den Zug nach Hogwarts wartet, genau dort, wo seine eigene Reise ihren Ausgang nahm – immer ist es eine Heldenreise nach Joseph Campbells Muster.
Doch können sich auch Präsentationen und Reden dieses Musters bedienen? Warum nicht? Viele Gründermythen greifen auf dieses Schema zurück: ein genialer Erfinder, eine clevere Geschäftsfrau, die eines Tages – nach vielen Widerständen und Rückschlägen – die Chance ergreifen und Firma xyz gründen und damit die Welt verändern. Auch Erzählungen rund um Change-Prozesse nutzen dieses Muster: Ein Unternehmen oder Team, das aufgrund von Marktveränderungen nicht mehr weiterarbeiten kann wie bisher, muss Herausforderungen und schmerzhafte Veränderungsprozesse meistern, um letztendlich gestärkt wieder am Markt Fuß zu fassen. Die Heldenreise lässt sich also in den unterschiedlichsten Bereichen anwenden.
2004 hatte der Journalist Christopher Booker jedoch genug vom Kult um die Heldenreise, denn als Masterplot erschien ihm Campbells Heldenreise zu allgemein. Daher machte er sich auf die Suche nach differenzierteren Mustern und fand sieben. Sieben Plots, die auch im Businessumfeld hilfreich sein können: »der Drachentöter«, »vom Tellerwäscher zum Millionär«, »die Reifeprüfung«, »Phönix aus der Asche«, »Reise und Wiederkehr«, »Komödie« und »Tragödie«.
Der Drachentöter (»Overcoming the Monster«)
»Beowulf«, »Troja«, »Die sieben Samurai«, »James Bond«, »Harry Potter«, »Star Wars« – sie alle vereint das gleiche Muster: Die Hauptfigur steht einem übermächtigen Gegner gegenüber. Das Ungleichgewicht ist so groß, dass eigentlich klar ist, wer gewinnen wird. Doch gerade mit diesem Erzählmuster wird deutlich, warum die Hauptfigur einer Geschichte »Held« genannt wird. Denn so klein, schmächtig oder unterschätzt die Hauptfigur auch sein mag, am Ende geht sie als Sieger vom Platz. Und so könnte dieses Muster durchaus auch »David gegen Goliath« heißen.Im Businessleben begegnen wir vielen dieser Geschichten, allen voran steht das mutige Entgegenstemmen von Apple Anfang der 80er gegen den übermächtigen Wettbewerber IBM, der sogar arrogant genug war, ein Kooperationsangebot von Steve Jobs auszuschlagen. Aus der einst unterschätzten Garage ist die wertvollste Marke der Welt – heute selbst ein »Monster« – geworden. Apple machte 2017 mit dem von IBM damals lächerlich gemachten Personal Computer pro Jahr ca. 26 Milliarden Dollar Umsatz, während IBM 2004 aus dem Geschäft aussteigen musste.
Vom Tellerwäscher zum Millionär (»From Rags to Riches«)
»Aschenputtel« und dessen moderne Variante »Pretty Women« sind die Vorlagen für dieses Erzählmuster. Der Protagonist der Geschichte schafft es, sich von ganz unten nach ganz oben zu arbeiten. Das passende Narrativ ist der amerikanische Traum, der in unzähligen Geschichten immer und immer wieder neu erzählt wird. Aber auch viele Gründermythen basieren auf genau diesem Muster. Nicht nur die allgegenwärtigen Start-up-Stories von Mark Zuckerberg und Larry Page, deren Firmen Facebook und Google sie zu Milliardären gemacht haben, auch tradierte Marken berufen sich auf diese Art der Erzählung, wie etwa die Spielzeugmarke Steiff. Margarete Steiff erkrankte mit 18 Monaten an Kinderlähmung und war seither an einen Rollstuhl gebunden. Trotzdem war sie ein aufgewecktes und aktives Mädchen, das eine Näherinnenausbildung machte und bald schon eigene Aufträge annahm. 1879 fand sie in einer Modezeitschrift die Schnittzeichnung eines Elefanten – ihr erstes Stofftier, dem noch viele weitere folgen sollten. 20 Jahre später belieferte sie sogar Kunden in den USA, und der Umsatz ihres Unternehmens lag bei 180.000 Mark. Noch heute ist der Firmensitz in Gingen an der Brenz, das Unternehmen macht mit über 1.000 Mitarbeitern an die 110 Millionen Euro Umsatz, und anlässlich des 125-jährigen Firmenjubiläums wurde in Gingen eine Teddybärklinik eröffnet, in der Steiff-Tiere repariert werden.Die Reifeprüfung (»The Quest«)
Wer den Film »Die Reifeprüfung« von Mike Nichols aus dem Jahr 1967 mit Dustin Hoffmann in der Hauptrolle kennt, wird durch den Namen dieses Plots etwas in die Irre geführt. Tatsächlich geht es bei diesem Muster um eine Bewährungsprobe, um Prüfungen und Rätsel, die es zu lösen gilt und an deren Auflösung der Hauptdarsteller wächst – und somit gibt es vermutlich doch eine Verbindung zu dem gleichnamigen Film. Der Romanautor Dan Brown liebt dieses Muster, denn er gibt seiner Hauptfigur, dem Professor für Kunstgeschichte, Robert Langdon, in »Illuminati« und in »Sakrileg« (Da-Vinci-Code) immer wieder Rätsel auf.Und auch zahlreiche Firmen erzählen ihre Unternehmensgeschichte als »Reifeprüfung« und führen ihren Unternehmenserfolg auf Beharrlichkeit und Erfindergeist ihres Gründers oder ihrer Mitarbeiter zurück, die bei der Lösung eines Problems entscheidend beteiligt waren. Der Kaufmann Friedrich Bayer und der Färber Johann Friedrich Weskott finden heraus, wie man den Farbstoff Fuchsin herstellt, und gründen den Chemiekonzern Bayer. Thomas Alva Edison benötigt über 1.000 Versuche, um die passende Legierung für den Draht der Glühbirne zu finden –, und legt den Grundstein für das Ingenieursunternehmen General Electrics (GE).
Phönix aus der Asche (»Rebirth«)
Die bekannteste Story nach diesem Muster ist die »Weihnachtsgeschichte « von Charles Dickens. Nach zahlreichen Prüfungen erweicht das Herz des alten Geizkragens Ebenezer Scrooge, und er wandelt sich in einen liebenswerten Menschenfreund. Auch die »Schneekönigin« des dänischen Märchenerzählers Hans Christian Anderson wandelt sich. Viele kennen sie vielleicht eher als Prinzessin Elsa aus Disneys »Frozen«. Und natürlich verwandelt sich die schüchterne, 17-jährige Frances Houseman an der Hand von Tanzlehrer Johnny Castle, gespielt von Patrick Swayze, in der Musikschnulze »Dirty Dancing« von 1987. Das Erzählmuster der »Wiedergeburt«, die auch »vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan« heißen könnte, hatte einen großen Anteil am Erfolg dieses Films.Auch IBM ist eine Wiedergeburt gelungen. Nachdem 2004 der einst unterschätzte Wettbewerber Apple an dem Computerhersteller vorbeigezogen war, kam es zum schmerzhaften Komplettumbau des Unternehmens. Wie Phönix aus der Asche stieg IBM in der Folge zu einem der erfolgreichsten Software- und Beratungsunternehmen der Welt auf und ist heute führend u.a. im Bereich Künstliche Intelligenz mit einem Jahresumsatz von fast 80 Milliarden Dollar.
Reise und Wiederkehr (»Voyage and Return«)
Wer »Alice im Wunderland« kennt, dem ist dieses Muster sehr vertraut. Aber auch »Herr der Ringe« oder der Science-Fiction-Film »Mad Max: Fury« (2015) basieren auf diesem Erzählmuster. Es ist wohl die einfachste Interpretation von Campbells »Heldenreise«, denn hier landet der Protagonist tatsächlich in einem ihm fremden Land, in dem er Abenteuer bestehen muss, um sich selbst zu entwickeln und zu vollenden.Im Geschäftsleben kennen wir dieses Muster von erfolgreichen Unternehmensgründern und -gründerinnen, die ihre Söhne und Töchter zunächst einmal in andere Unternehmen schicken, um dort eine Ausbildung zu absolvieren, bevor sie zurückkehren und einen Posten im Familienunternehmen übernehmen.
Das Komödie (»Comedy«)
Für dieses Erzählmuster benötigen Sie keine Beispiele, oder doch? Shakespeares »Sommernachtstraum« oder Heinrich Kleists »Der zerbrochene Krug« sollen genügen. Aber auch »Vier Hochzeiten und ein Todesfall«, der Film von Mike Newell aus dem Jahr 1994, fällt in diese Kategorie. Entscheidend für dieses Erzählmuster ist nicht nur das gute Ende, das »Happy End«, sondern auch der Humor, der sich durch die Erzählung zieht.Wer auf dieses Erzählmuster im Businessumfeld setzen möchte, der braucht also Humor, wie die Eismarke Ben & Jerry’s. Die beiden Freunde Ben Cohen und Jerry Greenfeld besuchten 1977 spontan einen Eiskurs und beschlossen, von jetzt an professionell Eis herzustellen. Sie starteten in einer alten Tankstelle und fielen sehr schnell durch ihre unkonventionelle und humorvolle Art der Vermarktung auf. Dem Wettbewerb wurde Ben & Jerry’s bald lästig, und so versuchte der Konkurrent Häagen-Dazs mehrfach, die unkonventionellen Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Zweimal zogen Ben & Jerry gegen den Wettbewerb vor Gericht und gewannen jedes Mal. 1988 wurden die beiden Gründer, die auch im Alter nie ihren Humor verloren, von Präsident Ronald Reagan als »Kleinunternehmen des Jahres« ausgezeichnet. 2002 war dann allerdings der Spaß vorbei. Unilever verleibte sich die Erfolgsmarke mit einer feindlichen Übernahme ein. Ben Cohen und Jerry Greenfeld konnten trotzdem lachen, die beiden Herren bekamen 326 Millionen Dollar. Ein ganz gutes Geschäft für ein Investment von einst 12.000 Dollar.
Die Tragödie (»Tragedy«)
Die größten Dramen sind meist Trauerspiele: Shakespeares »Macbeth« und »Romeo und Julia« sowie auch »Anna Karenina« und »Doktor Schiwago« - besonders russische Stoffe sind ja gerne traurig. Die Protagonisten in diesem Erzählmuster folgen ihrem Schicksal, das, meist aufgrund eigener Fehlentscheidungen, einen verhängnisvollen Lauf nimmt.Im Geschäftsleben gibt es unzählige Beispiele und Erzählungen des Scheiterns. Viele von ihnen werden gern in Reden und Vorträge als Beispielgeschichten (Parabeln) eingebaut – so zum Beispiel die verhängnisvolle Entscheidung von Kodak, seine Patente für Digitalfotografie zu verkaufen und sich auf das Ausdrucken von Fotos in Drogeriemärkten zu konzentrieren und in das komplexe Geschäft mit Tintenstrahldruckern einzusteigen. Oder der Niedergang von Nokia, dem finnischen Aufsteiger, der sich vom Gummistiefelhersteller zum führenden Mobiltelefonanbieter gewandelt hatte, dann aber die Entwicklung des Smartphones verpasste und mit ansehen musste, wie Apple mit dem iPhone den Markt revolutionierte. 2013 verabschiedete sich Nokia komplett von diesem Markt und verkaufte diese Sparte an Microsoft.
Was auch immer Sie erzählen wollen, Erzählmuster und Standard-Plots helfen Ihnen, den roten Faden Ihrer Story nicht zu verlieren. Probieren Sie es aus und erzählen Sie Ihre Geschichte nach mit unterschiedlichen Mustern. Eine dieser Versionen ist dann sicher die Beste. Wenn Ihnen diese Erzählmuster noch nicht reichen, dann lesen Sie doch einfach weiter, denn dieser Text stammt aus dem Buch: What´s your Story? Leadership Storytelling für Führungskräfte, Projektverantwortliche und alle, die etwas bewegen wollen, O´Reilly, 2019.