Was steht auf dem Spiel? Warum Storyteller ins Risiko gehen müssen
»The story is more important than the words.« – Jon FavreauIm beruflichen Alltag geht es meist nicht um die ganz großen Dinge des Lebens. Es geht eher um die kleineren. Um ein Projekt, eine Idee, ein Geschäftsziel, eine Veränderung. Doch selbst bei diesen Dingen haben wir unsere Zweifel. Gerade bei den kleinen Dingen scheuen wir uns oft, diese zu präsentieren. Wir fühlen uns unwohl, vor ein Publikum zu treten – auch wenn es nur per Zoom am Bildschirm vor uns sitzt. Warum ist das so?
Paul Smith, ehemaliger Direktor der Marktforschung bei Procter & Gamble, hat darauf drei brutale Antworten: Wir sind unsicher, weil wir nicht genau wissen, worüber wir sprechen. Oder aber wir fühlen uns unwohl, weil wir nicht wirklich hinter dem Thema und den Thesen stehen, die wir präsentieren sollen. Oder aber – und das ist die schlimmste Variante – das Thema ist uns egal. In allen drei Fällen rät Paul Smith: Halten Sie die Rede erst gar nicht. Einen guten Redner zeichnen nicht die geschliffenen Worte aus, die er verwendet, oder der souveräne Auftritt, den er auf der Bühne und vor der Kamera hinlegt. Einen guten Rechner zeichnet die Haltung aus, die er gegenüber seinem Thema einnimmt und die er dem Publikum gegenüber offenbart.
Eine Geschichte ist nur dann gut, wenn klar ist, dass es um etwas Wichtiges geht, dass etwas auf dem Spiel steht – für Redner und Publikum.
Vielen Präsentatoren ist dieser Aspekt nicht bewusst. Die meisten Businessredner sprechen ihre Themen allgemein, abstrakt und distanziert an. Und scheitern. Denn Storytelling ist eine Herzensangelegenheit.
Von induktiver Logik zu kausaler Denke
Bei Herzensangelegenheiten lohnt es sich, Hollywood zu Wort kommen zu lassen. Noch besser, Robert McKee zu fragen, der so vielen Drehbuchautoren und Regisseuren zum Oscar verholfen hat und mit diesem Wissen auch Redenschreiber und Storyteller in Unternehmen berät:»One of the most important things I teach business people (...) is to change their logic. They are used to thinking in terms of inductive logic. They make a PowerPoint presentation, which is inductive logic. They gather evidence—this point, this number, this authority, this that, therefore and they draw a conclusion. That is of no use in telling a story. They have to shift from inductive logic to causal logic. (...) They’ve got to think in terms of cause and effect in a human way, and they’ve got to think in-depth, since most of human life is subconscious and irrational and based upon needs and desires that rise up out of people in various contradictory ways. They’ve really got to understand human nature.«
Kausale Denke vor induktiver Logik – dies beschreibt auch die Arbeitsweise von Jon Favreau, Redenschreiber für Barack Obama. Befragt nach der Art und Weise, wie er die herausragenden Reden von Obama formuliert habe, betont Favreau immer wieder, dass ihn zu Beginn seiner Arbeit nicht einzelne Worte oder interessante Formulierungen interessieren. Dies sind Details, die der Redenschreiber erst viel später berücksichtigt. Doch jedes Mal, wenn er den Auftrag für eine Rede bekam, stellte Favreau dem 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten zunächst eine Frage: »What is the story your’re trying to sell?« Diese simple Technik half ihm und Obama, die Essenz der Rede herauszuarbeiten und deren Kernaussage zu destillieren. Und erst nachdem die Grundzüge der Story feststanden, begann Favreau mit der Ausarbeitung der gesamten Rede.
Garr Reynolds, Präsentationstrainer und Autor des Buchs »The Naked Presenter«, geht sogar noch einen Schritt weiter und macht einen Unterschied zwischen den Begriffen »Story« und »Kernaussage«. Er warnt davor, sich zu schnell in die Story, die Struktur einer Rede, zu stürzen und sich zu früh in den Details einer Präsentation zu verlieren:
»Before you start to think about your whole presentation have a clear overview on the core of your speech. Don’t forget your message! Story is good, but your message is why you do this speech.« Garr Reynolds
Start with Why
Wer auf der Suche nach einer starken Kernaussage für seine Rede und Präsentation ist, kommt um Simon Sinek nicht herum. 2012 reihte sich der Marketingberater Sinek mit der simplen Formel »What, How, Why« ein in die Gruppe einflussreicher Kommunikationswissenschaftler wie Paul Watzlawick (»Man kann nicht nicht kommunizieren. «) oder Marshall McLuhan (»The Medium ist the message.«).Sinek hatte die Wirkkraft großer Redner wie Martin Luther King oder einflussreicher Unternehmen wie Apple genauer unter die Lupe genommen und eine erstaunliche Beobachtung gemacht: Die Kraft, mit der diese Führungspersönlichkeiten und Organisationen ihre Anhänger und Fans inspirieren und mobilisieren, resultiert aus einer ganz bestimmten Art und Weise zu kommunizieren. Sinek hatte ein Muster entdeckt, das er 2012 in einem TEDx-Talk erstmals einem breiten Publikum offenbarte und das ihn zu einem der einflussreichsten Kommunikationstheoretiker des beginnenden 21. Jahrhunderts machen sollte.
Seine Entdeckung nennt Sinek »The Golden Circle«, denn sein Modell besteht aus drei konzentrischen Kreisen, die er mit What, How und Why benennt. Eine schlichte, aber wirkungsvollere Theorie: Sinek weist darauf hin, dass Führungspersönlichkeiten in ihren Reden oder auch Organisationen in ihrer Marketingkommunikation in der Regel sehr gut darstellen können, was sie machen (»What«). Sie beschreiben die Produkte und Dienstleistungen ihrer Arbeit. Und die meisten können auch gut beschreiben, wie sie arbeiten und vorgehen (»How«). Wo sich herausragende Redner aber von herkömmlichen unterscheiden, liegt im dritten Themenkreis, den Sinek »Why« nennt. Und in der Reihenfolge, in der sie das »Was«, das »Wie« und das »Warum« erzählen.
Die wenigsten Redner oder Unternehmen können die Motivation benennen, die sie selbst oder ihre Organisation antreibt – abgesehen von wirtschaftlichen Erfordernissen. Die Frage nach dem »Warum« (»Why«), die Frage nach dem persönlichen Antrieb und dem übergeordneten Sinn eines Anliegens oder eines Unternehmens, bleibt meist unbeantwortet, obwohl die Antwort auf diese Frage die größtmögliche Aufmerksamkeit und Motivation beim Publikum erzielen würde.
Herausragende Redner bestreiten daher ihren Vortrag nicht mit ausführlichen allgemeinen Darstellungen darüber, was und wie etwas geschieht, sondern starten sofort mit einer Erläuterung, warum etwas passiert und welchen Bezug sie als Redner zu diesem »Reason Why« haben. Sie zählen nicht offensichtliche Fakten und Daten auf, sondern geben von Anfang an dem Gesagten einen übergeordneten Sinn, ordnen persönlich Informationen ein und helfen dem Publikum, den Kontext zu erkennen und Zusammenhänge zu verstehen.
Wenn Favreau seinen Auftraggeber Barack Obama nach einer Core- Story fragt und Präsentationscoach Garr Raynolds eine Kernaussage einfordert, bevor die eigentliche Arbeit an einer Rede beginnt, dann beziehen sich beide auf das, was Simon Sinek als »Reason Why« bezeichnet: den übergeordneten Sinn und Anlass einer Rede, der für den Redner eine herausragende Bedeutung hat und dessen Relevanz auch für das Publikum entscheidend sein sollte.
Bevor Sie also mit der Vorbereitung Ihrer nächsten Rede starten, stellen Sie sich zwei Fragen:
1. »What’s the Story?« – Was ist die Essenz, die wichtigste Botschaft, die Sie vermitteln wollen?
2. »Why?« – Was steht für Sie ganz persönlich auf dem Spiel? Was steht für Ihr Team, Ihr Unternehmen, Ihre nähere Umgebung – Ihr Publikum – auf dem Spiel?
Wenn Sie jetzt mehr wissen wollen, dann empfehle ich Ihnen eine ganze Reihe an Büchern – zum Beispiel von Paul Smith: Lead with a Story (2012), von Garr Reynold: The Naked Presenter (2011) und von Simone Sinek: Start with Why (2011). Und natürlich das Buch, das dem dieser Text stammt, von Petra Sammer: What´s your Story? Leadership Storytelling für Führungskräfte, Projektverantwortliche und alle, die etwas bewegen wollen (2019). Wenn Sie das Thema „Storytelling in Rede und Präsentation“ vertiefen wollen, dann freue ich mich auf Sie im Webinar der news aktuell Academy am 15. September 2020 (Infos auf der na Academy Webseite).