FARBEN SIND NICHT SELBSTVERSTÄNDLICH

Ihre Lieblingsfarbe? Wann haben Sie sich das letzte Mal ernsthaft mit Farben auseinandergesetzt? Bei der Frage Ihres Kindes, welches denn Ihre Lieblingsfarbe sei? Oder bei der Diskussion mit Ihrem Ehepartner, ob man denn nicht auch einmal eine der eigenen vier Wände bunt streichen sollte, denn das sei ja jetzt im Trend. Die Müllers und Meiers haben das jetzt auch auch. Oder aber die Frage nach der Farbe kam von Ihrer Marketingagentur, die wissen wollte, ob man das Corporate Logos nach dreißig Jahren vielleicht mal frisch überarbeiten sollte.

Farben sind nicht selbstvertändlich: Farben sind uns meist selbstverständlich. Die meisten von uns beschäftigen sich nicht wirklich aktiv damit. Erst die Abwesenheit von Farbe zeigt uns ihre Bedeutung. Neil Harbisson wurde diese Bedeutung erst als junger Mann bewusst. Seine Welt bestand lange Jahre ausschließlich aus Schwarz, Weiß und verschiedenen Grautönen. Harbisson leidet unter Achromatopsie. Er ist komplett farbenblind. Doch obwohl ihm die Ärzte sagten, dass er nie Farben sehen werden, erschloss sich die erstaunliche Welt der Farben für Neil Harbisson. Während seines Musikstudiums lernte er einen jungen Ingenieur und Kybernetiker kennen, der ihm half ein Gerät zu entwickeln, das ihm ermöglichte Farben zu … hören! Ein Computer, ausgestattet mit einer Kamera und Kopfhörern, registriert die Spektralwerte der Farbe und übersetzt diese in bestimmte Töne. So kommt es, dass Neil Harbisson heute die Welt als farbige Komposition hört. Die erstaunliche Erfahrung seiner Behinderung und seine neue Welt beschrieb Harbisson in einer wunderbaren Rede auf der TED-Konferenz 2012. „I listen to color“ ist sehens- und hörenswert, denn es erinnert uns an die von uns oft vergessene Bedeutung von Farbe.


Farben sind mehr als nur Gestalt und Aussehen: Farben wecken Erinnerungen und Gefühle. Sie sind Symbole und Codes. Wer sich mit der Kunst des Geschichtenerzählens auseinandersetzt, sollte sich daher mit der Kraft der Farbe vertraut machen, denn Farben können eine Story in vielen Bereichen unterstützen. Hilfestellung bietet hierfür Lewis Bond mit seinem Video „Colour in Storytelling“. Bond erläutert mit einer cineastischen Collage den bewußten Einsatz bestimmter Farben in Filmsszenen und erklärt ausführlich die drei Kernkomponenten von Farbe: Farbton, Farbsättigung und Farbwert. Was passiert beim Betrachter, wenn einen dieser Komponenten verändert wird? Welchen Einfluss hat Farbe auf den Verlauf einer Geschichte, wenn man Farbton, -wert oder Farbsättigung manipuliert? Die Wirkung ist enorm und Bond unterstreicht dies mit zahlreichen Beispielen:


Farben verdichten Gefühle: Das Orange von Uma Thurmans Hosenanzug in „Kill Bill“ ist kein Zufall. Die Farbauswahl der fünf Protagonisten im aktuellen Pixarfilm „Alles steht Kopf“ entspricht genau unserer Vorstellung der Farbe bestimmter Gefühle (Grün ist Ekel, Rot ist Wut, Gelb ist Freude, Blau ist Kummer und Angst ist lila) und im Film „Der letzte Kaiser“ markieren die Farbveränderunge von Rot, zu Gelb und schließlich zu Grün die Lebensabschnitte des Kaisers und seine mentale Veränderung.

Farbe kann Geschichten assoziativ unterstützen: Sie wiegt uns in Sicherheit und treibt die Immersion in die Story voran. Wir tauchen ein in die Geschichte und lassen uns mit dem Blick auf vertraute Farben treiben. Farbe kann aber auch irritieren und unsere Aufmerksamkeit wecken. Sie kann Dinge hervorherben, Einschnitte markieren und dadurch einer Geschichte Tempo verleihen. Achten Sie bei Ihrem nächsten Kinobesuch bewußt auf Farben. Die Farbe der Umgebung, Gebäude, Kleidung Gegenstände - alle visuellen Eindrücke verdichten die Atmosphäre einer Story oder stehen sogar als Metapher für die Gefühlswelt der Protagonisten. Nichts ist in einer guten Geschichte dem Zufall überlassen.

Ein Beispiel? „Colorless Future“ - Der Farbenhersteller Dulux zeigt eine uniforme Science-Fiction-Welt, in der die Farbe Weiß die Macht übernommen hat und alle anderen Farben in den Untergrund gezwungen wurden. Eine smarte Überhöhung des Markenversprechens von Dulux und eine herrliche Analogie für die Bedeutung von Farbe in unserem Leben – nicht in der fernen Zukunft, sondern schon heute. Mit welchen Farben, erzählen Sie Ihre Geschichte?

Sie wollen mehr über visuelles Storytelling erfahren? Dann empfehle ich zwei Bücher: "Stories that Move Mountains" von Martin Sykes und - Sie ahnen es vielleicht - ein Buch, das ich zusammen mit der Graphikerin Ulrike Heppel geschrieben habe: „Visual Storytelling“. O´Reilly, 2015

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