ALEXA, LIES EINE GESCHICHTE VOR



Es ist Sonntag abend. Das Wetter ist traumhaft, daher hat man sich spontan zu einem Grillabend mit Freunden verabredet. Die Kinder toben im Garten, obwohl sie schon längst im Bett sein sollten, denn Montag morgen heißt es wieder früh raus für Kindergarten und Schule. Für viele Eltern ist dieser Moment einer der schlimmsten, denn jäh muss jetzt die Idylle zerbrochen, das Wochenende für beendet erklärt. Meist übernehmen es die Mütter, mit Weitsicht und Verantwortungsbewußtsein, eindringlich zum Aufbruch zu mahnen. Die ersten Rufe in den Garten werden von den Kindern noch ignoriert, aber irgendwann steht einer der Mamas und Papas dann doch vom Tisch auf und es wird ernst. Auch für die erwachsenen Freunde ist der Grillabend jetzt eigentlich zu Ende, denn es wird ungemütlich. Plötzlich ändert sich der Tonfall im Garten und die Stimmung droht zu kippen. Einen der wenigen Trümpfe, den Eltern in dieser Situation jetzt noch im Ärmel haben, ist, dass es nach dem Zähneputzen eine Geschichte gibt.

Doch was für viele Kinder in den letzten Jahrhunderten ein Highlight des Tages oder Abends war, wenn Mama oder Papa verspricht, am Bettrand eine Geschichte zu erzählten, ist für moderne Kinder nur ein schwacher Reiz. Schließlich treten Mom und Daddy mit ihrer Stimme und einem Kinderbuch gegen iphone, Samsung Galaxy, Xbox und Nintndo an. Und treten in den Wettbewerb zu YouTube, WhatsApp und TikTok.

Uuuund: Action!

Es sind also jede Menge schauspielerisches Talent und Entertainment-Kompetenzen im Kinderzimmer gefordert. Kein Wunder also, dass so mancher Elternteil sich im Nachteil sieht und denkt, er oder sie könne da nicht mithalten. Daher erfährt man in der abendlichen Grillrunde auch, dass das Abendritual jetzt immer häufiger jemand anderem überlassen wird. Jemandem, der aus einem unerschöpflichen Fundus an Geschichten schöpfen kann und dem alle Mittel zur Verfügung stehen, um eine Geschichte zum Hörvergnügen zu machen: Alexa, erzähl uns eine Geschichte – schallt es in so manchem Kinderzimmer und die Kids sind fasziniert von der kleinen Box, die dann auch tatsächlich anfängt zu erzählen und ein Hörbuch abzuspielen.

Der Hörbuchmarkt boomt. Viele Verlage konnte 2018 ein Wachstum über 50% ausweisen. Im Streamingbereich sogar über 60%. Einige Verlag überspringt sogar das Medium Buch und publiziert direkt als Audiobuch. Schön für die Kinder möchte man meinen, denn sie bekommen schließlich beste Unterhaltung auf die Ohren. Und eigentlich sollte uns diese Entwicklung auch freuen, wäre da nicht das allabendliche Ritual. 

Alex kann´s eben nicht

Den Abspielen ist etwas anderes als Vorlesen. Etwas ganz anderes. Der Neurowissenschaftler Uri Hasson konnte nachweisen, dass beim Erzählen einer Geschichte die gleichen Gehirnregionen beim Erzähler wie beim Zuhörer aktiviert werden. Hasson nennt dies „Coupling of Brains“ – und diese Aktivierung ist eben mehr als nur eine physikalische Aktivität unserer Gehirne. Beim Erzählen verbinden sich zwei Menschen gedanklich miteinander. Das ist es, was uns seit Jahrtausenden zu sozialen Wesen und zu Menschen und, was die Verbindung zwischen Kind und vorlesendem Vater oder Mutter so besonders macht. Es ist also sehr entscheidend, wer da vorliest.

Und noch etwas fehlt, wenn eine Maschine vorliest. Wir fühlen beim Lesen und Zuhören einer Story mit. Das Max Planck Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt führt derzeit eine Studie mit der erforscht wird, welche Gefühle Kinder und Erwachsene während des Zuhörens einer Geschichte entwickeln und ob sich dies Gefühlserlebnisse unterscheiden. Auf das Ergebnis können wir gespannt sein. Was wir aber schon wissen ist, dass beide – Erwachsene und Kinder – einen ganzen Cocktail an Botenstoffen und Hormonen ausschütten während sie eine Story hören und erzählen und dass wir Geschichten – ob groß oder klein - im ganzen Körper fühlen können. Ein Hormon ist dabei besonders interessant: Oxytocin – das sogenannte „Kuschelhormon“. Oxytocin schütten wir immer dann aus, wenn wir Empathie, also Mitgefühl, empfinden und wenn wir Vertrauen aufbauen … die besten Voraussetzungen eben, um zu kuscheln.

Und Alexa – Künstliche Intelligenz hin oder her – ist darin nun noch lange nicht gut. Da sind Papa und Mama immer noch die Besten.

Übrigens ...

Als Führungskraft lassen Sie Alexa ja auch nicht ihre strategische Rede zum neuen Businessplan vorlesen. Dafür stellen Sie sich on Persona vor die Mannschaft, steigen auf die Bühne und treten hinter das Mikrophon. Schließlich ist wollen Sie Ihr Team überzeugen, begeistern und für die neue Strategie gewinnen.
Warum also sollte es vor dem Team daheim – vor den eigenen Kindern – anders sein.
Also" "Alex, spiel Musik. Und danach lese ich dann selbst eine Geschichte vor."

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